“Demokratie
braucht
politische Bildung”

Die qualitative Vertiefung wagen! Zur Weiterentwicklung der europäischen und internationalen politischen Bildungsarbeit im AdB

16.11. 2015

Präambel

Der Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e. V. (AdB) hat unter Einbeziehung aller verbandlichen Gremien die qualitative Ausgestaltung und Weiterentwicklung seiner europäischen und internationalen Bildungsarbeit diskutiert. Er sieht sich in der Verantwortung, sein Verständnis der europäischen und internationalen Arbeit zu überprüfen und die Voraussetzungen für eine adäquate Weiterentwicklung zu schaffen angesichts der sich rapide verändernden nationalen und globalen Rahmenbedingungen und daraus resultierender Herausforderungen an Jugend- und Erwachsenenbildungsarbeit.

 

Globale wirtschaftliche und soziale Entwicklungen, Krisen und Konflikte sowie weltweite Wanderungsbewegungen wirken sich auch auf die internationale Bildungsarbeit, die Inhalte, Themen und Teilnehmenden der Begegnungsmaßnahmen aus und führen zu einer Re-Politisierung der internationalen Begegnungsarbeit. Zudem rücken sie die internationalen Fachkräfte- und Jugendaustauschmaßnahmen stärker in den Fokus des Politischen. So richten sich mittlerweile nicht nur jugendpolitische, sondern auch bildungs-, außen-, sicherheits-, wirtschafts- und entwicklungspolitische Erwartungen an die Begegnungen. Dieses ressortübergreifende Interesse führt auf internationaler Ebene zu einer Vernetzung bisher getrennter Politikfelder, zu einem erweiterten fachpolitischen Austausch, zu einer neuen politischen Rahmung von Fachdiskursen und damit auch zu Konsequenzen für die Bearbeitung auf nationaler Ebene.

 

Zum Verständnis europäischer und internationaler politischer Bildung

Europäische und internationale Arbeit (EIA) im AdB ist fester inhaltlicher und struktureller Bestandteil außerschulischer politischer Bildungsarbeit und auch internationaler Bildungs- und Begegnungsarbeit mit Jugendlichen, Erwachsenen und Fachkräften der Jugendarbeit.

 

Europäische und internationale Bildungsarbeit hat das Ziel, den Austausch über Fragen des demokratischen Zusammenlebens in einer globalisierten Welt anzuregen. Dies geschieht im internationalen Kontext verbunden mit Fragen nach Subsidiarität, Solidarität und gesellschaftlichem Ausgleich. Als Einrichtungen politischer Bildung sind die Bildungsstätten und Bildungswerke Anbieter einer Pädagogik außerschulischen, non-formalen Lernens und gestalten Lernprozesse, die Einzelne und Gruppen befähigen, sich im gesellschaftlichen Wandel zu orientieren, zu positionieren und diesen mitzugestalten. In einer globalisierten Welt hat dieser Wandel immer eine internationale Dimension, die sichtbar und verstehbar gemacht werden soll.

 

Die europäische und internationale Bildungsarbeit in den Einrichtungen der politischen Bildung leistet einen zentralen Beitrag zur Verständigung sowie zur Entwicklung eines dynamischen Geschichtsbildes über nationale Identitätskonzepte hinaus, das die Orientierung in einer pluralistischen Gesellschaft ermöglicht. Ein wichtiger Bestandteil ist hier die Gedenk- und Erinnerungsarbeit, die die historische Grundlage für die europäische und internationale Zusammenarbeit bilden.

 

Europäische und internationale Bildungsarbeit trägt zur Internationalisierung Deutschlands bei, indem sie im Rahmen internationaler Begegnungen Räume schafft, die den Umgang mit Diversität und Vielfalt ermöglichen sowie interkulturelle und fremdsprachliche Kompetenzen stärken. Internationale Maßnahmen haben einen nachgewiesenen Einfluss auf die Biografien von Teilnehmenden, sie sind oft Ausgangspunkt für eine internationale Ausrichtung in ihren späteren Tätigkeiten.

 

Europäische und internationale Bildungsarbeit leistet einen Beitrag zur Herausbildung einer internationalen und europäischen Identität und Bürgerschaft, da sie wertebildend ist, die Bearbeitung länderübergreifender Fragen ermöglicht und zu gemeinsamem politischem Engagement auf europäischer und internationaler Ebene motiviert.

 

Die Rolle des Arbeitskreises deutscher Bildungsstätten

Der Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten nimmt im Kontext europäischer und internationaler Bildungsarbeit verschiedene Aufgaben wahr. Er berät, unterstützt, qualifiziert und fördert die praktische Begegnungsarbeit in den Einrichtungen. Er vertritt in nationalen und internationalen Gremien und Arbeitszusammenhängen die Interessen der Mitgliedseinrichtungen. Und er agiert auf nationaler, europäischer und internationaler politischer Ebene, um die jugend-, bildungs- und förderpolitischen Rahmenbedingungen für die europäische und internationale politische Bildungsarbeit positiv mitzugestalten. Zu diesen Aufgaben gehören auch die Initiierung und Unterstützung von sowie Mitwirkung in internationalen Netzwerken sowie das Zusammenwirken mit wissenschaftlicher Forschung und die Beteiligung an europäischen und internationalen wissenschaftlichen Forschungsvorhaben zu politischer Bildung und zu internationalem Jugend- und Fachkräfteaustausch.

 

Die Rolle der Bildungsstätten für europäische und internationale Bildungsarbeit

Bildungsstätten sind Orte der Begegnung, Beratung, Information und Fortbildung. Die besonderen  Lernbedingungen für internationale Bildungsarbeit, die sie schaffen, zeichnen sie in besonderer Weise aus. Bildungsstätten  sind Lernorte, die sich an den Bedürfnissen der Teilnehmenden orientieren und ihnen ein adäquates, zielgruppenorientiertes und aktuelles Bildungsangebot machen. Mit ihrer räumlichen, fachlichen und pädagogischen Infrastruktur bieten sie insbesondere für internationale Bildungsarbeit einen sicheren Lern- und Erfahrungsraum für selbstbestimmtes, kreatives und eigenständiges Lernen. Dieser ist an vielen anderen Orten der Welt keine Selbstverständlichkeit, jedoch für Anliegen demokratischer Teilhabe und Mitwirkung unerlässlich.

 

Bildungsstätten sind damit Ermöglichungsorte für demokratische Erfahrungen, demokratisches Engagement und demokratisches Handeln. Sie bilden im internationalen Kontext einen in vielerlei Hinsicht einmaligen Ort für Bildungsprozesse. Sie vereinen räumliche Möglichkeiten, pädagogische Expertise und fachlich qualifiziertes Personal. Sie sind Orte, die Change Agents ausbilden, die wiederum den demokratischen Wandel in ihren jeweiligen Heimatländern mitgestalten.

 

Diesen sicheren Erfahrungsraum zu generieren, stellt eine pädagogische (und eine politische Herausforderung) im Sinne der Entwicklung einer Werthaltung dar, der sich Bildungsstätten stellen und immer wieder neu stellen müssen. Diese Werthaltung ist zugleich Kernbestand politischer Bildungsarbeit und Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche international angelegte politische Bildungsarbeit.

 

Dimensionserweiterung

Träger politischer Bildung stehen vor der Herausforderung, sich selbst und ihre Bildungsarbeit im globalisierten Entwicklungskontext zu verorten und sich als gestaltende Akteure dieser Entwicklung zu verstehen. Diese Internationalität kann sich in länderübergreifenden Programmen des Austauschs und der Begegnungen niederschlagen.
Der AdB will darüber hinaus  anregen, nicht nur die internationale Arbeit selbst, sondern grundsätzlich die politische Bildung in ihrer Gesamtheit international zu begreifen und zu denken und die Diskurse und Fachthemen politischer Bildungsarbeit und Demokratiebildung als Ausdruck internationaler Entwicklungen und internationaler Herausforderungen zu begreifen.

 

Politische Bildung erfährt auf diese Weise eine Dimensionserweiterung, die sich auf Fragen und Themenbereiche politischer Bildung wie Macht, Migration, Gerechtigkeit, Teilhabe und Inklusion, Vielfalt und Diversität, Antidiskriminierung und Geschlechtergerechtigkeit, Anti-Rassismus, (Rechts)extremismus, Bildung für nachhaltige Entwicklung, Menschenrechte, historisch-politische Bildung, Europa in all seinen Widersprüchen, u. a. bezieht und die als Ausdruck aktueller globaler gesellschaftspolitischer Fragen im lokalen wie im globalen Kontext bearbeitet werden.

 

Durch die bewusste Einbettung politischer Jugend- und Erwachsenenbildungsarbeit in einen globalen Bezugsrahmen und das bewusste Aufgreifen und Einbetten in jugend-, bildungs-, außen-, sicherheits-, wirtschafts- und entwicklungspolitische Diskurse eröffnet sich der politischen Bildung eine neue Dimension des Lernens durch Internationalität.

 

Zugleich schafft sie dadurch die Voraussetzung zu einer Aufwertung der eigenen Bedeutung. Politische Bildung findet einen Weg, die nicht mehr zeitgemäße „Versäulung“ in internationale und nationale Bildungsarbeit anspruchsvoll und positiv zu wenden: Indem sie selbst die Rahmenbedingungen für Menschenrechtsbildung und politische Bildung neu formuliert, erfährt Lernen durch internationale Kontextualisierung eine Dimensionserweiterung, eine Vertiefung und einen Wirkungsgewinn. Zugleich begreift die politische Bildung sich als politikgestaltender Akteur, der Bildungsarbeit im Rahmen völkerrechtlicher Vereinbarungen und Verträge leistet. Dazu gehören u. a.

  • die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und die Umsetzung des World Program for Human Rights Education;
  • die UN-Kinderrechtskonvention, die Frauenrechtskonvention, der Genfer Flüchtlingskonvention;
  • die UN-Konvention für die Rechte der Menschen mit Behinderungen;
  • die Europaratscharta für politische Bildung und Menschenrechtsbildung (und weitere Ver-einbarungen des Europarats);
  • die Grundrechtecharta der EU und der Vertrag von Lissabon;
  • die Umsetzung und Gestaltung europäische Jugendpolitik;
  • die bilateralen Vereinbarungen zwischen Deutschland und anderen Ländern.

 

Indem der AdB im Verbund mit seinen Mitgliedsorganisationen diese Dimensionen in der Arbeit auf nationaler Ebene berücksichtigt, schaffen sie die Voraussetzung für eine Aufwertung politischer Bildung auf mehreren Ebenen:

  • inhaltlich für die Teilnehmenden;
  • als Lernorte, die die oben genannten Kontexte sichtbar machen und Verbindungen aufzeigen;
  • als politische Akteure, die maßgebliche Bezugspunkte für die fachliche und inhaltliche Debatte aus dem Bereich der politischen Bildung selbst einbringen.

 

Konsequenzen und Empfehlungen

Aus den oben beschriebenen veränderten Rahmenbedingungen für (europäische und internationale) politische Bildung sowie aus der daraus resultierenden Dimensionserweiterung ergeben sich aus Sicht des AdB Konsequenzen und Empfehlungen für die zukünftige Arbeit sowohl des Verbandes als auch der Mitgliedseinrichtungen:

  • Die Träger und Einrichtungen der politischen Bildung sind gefordert, ihre Strukturen und ihre Arbeit zu europäisieren und zu internationalisieren und Fragestellungen politischer Bildung unter einer europäischen und internationalen Perspektive anzugehen. Dies kann eine stärkere Verzahnung und Verknüpfung aller Arbeitsfelder zu europäischen und internationalen Fragestellungen bedeuten, eine stärkere Ansprache internationaler Teilnehmerinnen und Teilnehmer oder eine Verbesserung der Mehrsprachigkeit auf allen Ebenen im Verband. In diesem Zusammenhang bietet es sich an, die Trennung in internationale und nationale Jugend- und Erwachsenenbildung  zugunsten einer inhaltlichen Profilierung aufzuheben, die in allen Bereichen auch die Durchführung europäischer und internationaler Themen, Projekte und Partnerschaften ermöglichen würde.
  • Bildungsstätten und andere Bildungsträger sollten ihre Arbeit im Wirkungszusammenhang europäischer und internationaler Entwicklungen sehen, wobei Europa mehr ist als die EU. Sie können und sollten sich offensiv als Orte der Demokratie, der Menschenrechtsbildung, des Demokratielernens und der Teilhabe, der Emanzipation und des Diskurses begreifen und sich gestaltend auf allen sie betreffenden Ebenen in den Diskurs um die Umsetzung einbringen. Damit tragen sie zur Umsetzung und Ausgestaltung der „Pariser Erklärung zur Förderung von Politischer Bildung und der gemeinsamen Werte von Freiheit, Toleranz und Nichtdiskriminierung“ der Bildungsminister der Europäischen Union vom 17. März 2015 bei.
  • Die Akteure politischer Bildung sind aufgefordert, sich aktiv in die Gestaltung des von der UN-Vollversammlung in der Sitzung vom 25. bis 27. September 2015 verabschiedeten Sustainable Development Goals 4.7  einzubringen. Der Anspruch könnte wirksam unterstützt werden durch die Aufnahme von Global Citizenship Education in das Leitbild jeder Einrichtung oder jedes Trägers.
  • Insbesondere Jugendbildungsstätten wird empfohlen, sich aktiv um das „Council of Europe Quality Label for Youth Centres“ (Qualitätslabel des Europarats für Einrichtungen politischer Jugend- und Menschenrechtsbildung) zu bewerben und sich als Orte des „Lebens und Lernens unter einem Dach“ im Sinne außerschulischer Menschenrechtsbildung und des Demokratielernens international zu profilieren.
  • Die Nutzung eines  erweiterten, lebensweltlich orientierten Kulturbegriffs, der von Mehrfachzugehörigkeiten, Diversität und Weltoffenheit im Sinne eines emanzipatorischen Anspruchs ausgeht, mit dem Ziel, der Kulturalisierung sozialer und politischer Konflikte weltweit entgegenzuwirken, unterstützt Anliegen und Anspruch politischer Bildungsarbeit.
  • Vorstand und Geschäftsstelle des AdB sind gefordert, zur Entwicklung und Umsetzung der Europäisierung und Internationalisierung Fortbildungen anzubieten und Unterstützungsan-gebote an die Mitglieder zu richten. Die erforderlichen Schritte stehen dabei in engem Zusammenhang mit der angestrebten interkulturellen Öffnung und der Abbildung von Diversität im Verband. Dabei sollte ein Ansatz von Diversität und Mehrfachzugehörigkeiten verfolgt werden, der den Aufbau von Kooperationsstrukturen zwischen Trägern internationaler politischer Jugendbildung und Migrantinnen- und Migranten-Vereinen bzw. Organisationen der (jugendbezogenen) Migrationsarbeit einschließt und diese stärker in die internationale Arbeit einzubeziehen sucht. Ziel muss es sein, dass die europäische und internationale Bildung die gesamte Gesellschaft erreicht.
  • Im Hinblick auf die aktuellen Debatten in der außerschulischen politischen Bildung – genannt seien exemplarisch die Anerkennung non-formalen Lernens, die Sichtbarmachung von Wirkungen internationaler Bildungs- und Begegnungsarbeit, die Teilhabe benachteiligter Gruppen oder die Zusammenarbeit mit Transformationsländern Nordafrikas – erscheint es notwendig, die internationale Expertise, die Fachkenntnisse und die Erfahrungen im AdB und seinen Mitgliedseinrichtungen stärker herauszustellen und sichtbar zu machen. Damit empfiehlt sich der Verband als Ansprechpartner gegenüber politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern, Fördereinrichtungen und Ministerien auf den unterschiedlichen Ebenen.

 

Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten, Berlin im Oktober 2015