“Demokratie
braucht
politische Bildung”

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Wertorientierungen des Grundgesetzes und gesellschaftlicher Wandel

AdB-Jahresthema 2019
Der AdB – eine lebendige Organisation

Seit 70 bzw. 30 Jahren bildet das Grundgesetz die Basis für die demokratische Verfasstheit Deutschlands. Vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher Spannungsverhältnisse haben die im AdB organisierten Träger mit dem Jahresthema 2019 dieses grundlegende Regelwerk in den Fokus gerückt. Ziel war es zu zeigen, wie die mit dem Grundgesetz verbundenen Werthaltungen in den Alltag der Menschen eingebunden und mit Leben gefüllt werden können und in welcher Weise die Träger politischer Bildung ihren Beitrag durch die Vermittlung von Kompetenzen für das demokratische Miteinander leisten.

Installation Grundgesetz 49 von Dani Karavan am Jakob-Kaiser-Haus des Deutschen Bundestags; Foto: AdB
Installation Grundgesetz 49 von Dani Karavan am Jakob-Kaiser-Haus des Deutschen Bundestags; Foto: AdB

 

Bereits auf der AdB-Mitgliederversammlung im November 2018 wurde die Stellungnahme zum Jahresthema „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Wertorientierungen des Grundgesetzes und gesellschaftlicher Wandel“ diskutiert und verabschiedet. Diese Stellungnahme gab die Richtung und Grundlage der politischen Bildungsarbeit für das Jahr 2019 vor.

 


 

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Wertorientierungen des Grundgesetzes und gesellschaftlicher Wandel

 

Seit 70 bzw. 30 Jahren bildet das Grundgesetz die Basis für die demokratische Verfasstheit Deutschlands. Als Provisorium gedacht, hat es sich längst zum grundlegenden Regelwerk entwickelt. Bislang ist es über 60-mal verändert worden. Viele Veränderungen spiegeln tiefgreifende gesellschaftliche und politische Entwicklungen wider wie z. B. die Einführung der Bundeswehr, die Notstandsgesetze, die Einschränkung des Asylrechts, die Wiedervereinigung, die Föderalismusreform oder die Weiterentwicklung des EU-Rechtsrahmens.

 

Die unteilbaren Grund- und Menschenrechte in den ersten 19 Artikeln stellen zusammen mit Artikel 20 das Fundament und das zentrale Anliegen des Grundgesetzes dar. Sie sollten Bezugspunkt allen politischen Handelns, die damit verbundenen Werte grundlegend für das demokratische Zusammenleben sein. Es stellen sich aktuell jedoch die Fragen, wie verbindend diese Werte noch sind und was getan werden muss, um die Tragfähigkeit dieser Grundlage angesichts tiefgreifender Veränderungen zu erhalten. Politisch Verantwortliche, die Träger und Einrichtungen der politischen Bildung und insbesondere alle Bürger*innen stehen vor der großen Aufgabe, die Grundwerte des Grundgesetzes zu stärken, weiterzuentwickeln und im Alltag aller Menschen zu verankern.

 

Wandlungsprozesse und gesellschaftliche Herausforderungen

Im Alltag kommt es immer wieder zu Situationen, in denen Menschen- bzw. Grundrechte in Widerspruch zueinander oder zu gesellschaftlichen Entwicklungen stehen. Daraus ergeben sich Spannungsverhältnisse, die Abwägungsprozesse und den Einsatz rechtsstaatlicher Mittel erfordern. Aktuell geht es wesentlich um folgende Spannungsverhältnisse:

 

Das Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit

Die Freiheit der Bürger*innen ist konstitutiv für demokratisch verfasste Staaten. Gleichzeitig haben die staatlichen Institutionen die Aufgabe, die Bürger*innen zu schützen. Dieser Auftrag und das legitime Verlangen nach Sicherheit dürfen nicht dazu führen, dass Grundrechte mit einem Versprechen von mehr Sicherheit ausgehöhlt werden.

 

Das Spannungsverhältnis zwischen Staatsbürgerschaft und der Vorstellung eines homogenen Volkes

Im Grundgesetz ist Deutschsein mit dem Besitz der Staatsbürgerschaft verbunden. Wir erleben aktuell aber eine Rückkehr zu längst überholt geglaubten Vorstellungen eines homogen gedachten Volkes und eines entsprechenden "Volkswillens", die Menschen auf der Basis von Statuszuschreibungen bewusst ausschließen.

Auf der europäischen Ebene und auch weltweit ist eine neue Hinwendung zu Nationalismus und Eigeninteresse auch auf Kosten anderer Staaten und/oder gesellschaftlicher Gruppen zu beobachten sowie eine Abkehr von Werten wie Solidarität, Verständigung und Kooperation.

 

Das Spannungsverhältnis zwischen Rechtsstaatlichkeit und dem vermeintlichen „Volkswillen“

Im Namen des "gesunden Menschenverstandes" oder des "Volkswillens" werden Politiker*innen, staatliche Institutionen und Gerichte angefeindet. Ihnen wird das Recht abgesprochen, den "wirklichen" Willen des Volkes zu vertreten bzw. diesem zuwider zu handeln. Mit dieser Begründung wurden z. B. in Polen, Ungarn oder der Türkei der Rechtsstaat umgebaut, die Unabhängigkeit der Justiz stark eingeschränkt, wurden die Grundrechte beschnitten und der Rechtsfrieden gefährdet. Die Hauptgefahr scheint der Demokratie aktuell dadurch zu drohen, dass sie von innen umgeformt und eingeschränkt wird.

 

Das Spannungsverhältnis zwischen den Werthaltungen des Grundgesetzes und dem gelebten Alltag

Die Unantastbarkeit der Würde des Menschen, das Recht auf freie Entfaltung, das Verbot von Benachteiligung oder die Religionsfreiheit sind Grundrechte, die wie alle anderen Grundrechte für jeden Staatsbürger bzw. jede Staatsbürgerin gelten. Sie stecken einen normativen Rahmen ab, der mit Werten wie Gleichberechtigung, Minderheitenschutz oder Gerechtigkeit verbunden ist. Im täglichen Miteinander, aber auch auf institutioneller und struktureller Ebene lässt sich jedoch oft genug Gegenteiliges erleben: Diskriminierung und Ausgrenzung von Menschen anderer Herkunft, Religion, sexueller Orientierung oder anderen Geschlechts.

 

Das Spannungsverhältnis zwischen Digitalisierung und demokratischer Meinungsbildung

Der digitale Raum ist ein politischer Raum und der politische Raum ein digitaler Raum. Durch Digitalisierung und Medialisierung vollziehen sich grundlegende Veränderungen im Bereich von Öffentlichkeit und Kommunikation. Die Digitalisierung birgt große Chancen für die Beteiligung und Mitbestimmung als Element einer digitalen Zivilgesellschaft. Sie setzt voraus, dass im Zuge der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse alle Menschen Zugang zu digitalen Medien haben, wobei Zugang sowohl die technische Seite meint als auch den Erwerb der entsprechenden Kompetenzen. Gleichzeitig besteht die Notwendigkeit, Regeln für das Miteinander im digitalen Zeitalter zu entwickeln, um Manipulationen vorzubeugen und der Destabilisierung von Demokratie entgegenzuwirken.

 

Herausforderungen für Politik, politische Bildung und Bürger*innen

Vor dem Hintergrund der genannten Spannungsverhältnisse ergeben sich Aufgaben, die die Verantwortlichen in allen politischen Bereichen, die Träger und Einrichtungen der politischen Bildung und nicht zuletzt alle Bürger*innen in besonderer Weise herausfordern.

 

Politisch Verantwortliche sind aufgerufen, ihre Handlungsmaximen konsequent an den Grund- und Menschenrechten auszurichten und parteipolitische Handlungslogiken dem unterzuordnen. Der Gefahr der Aushöhlung der Demokratie von innen heraus sind Strategien entgegenzusetzen, die demokratische Institutionen, Gerichte und zivilgesellschaftliche Akteure schützen und stärken und die Demokratie als Staats-, Gesellschafts- und Lebensform nachhaltig fördern.

 

Aufgabe der Politik, der Zivilgesellschaft und der politischen Bildung ist es, die Grundrechte zu verteidigen, zu ihrer Sicherung und Weiterentwicklung sowie zu ihrer Vermittlung beizutragen. Die mit dem Grundgesetz verbundenen Wertorientierungen müssen auch in den Alltag der Menschen eingebunden und mit Leben gefüllt werden. Die Träger politischer Bildung leisten ihren Beitrag durch die Vermittlung von Kompetenzen für das demokratische Miteinander. Dazu gehört es zu lernen, Konflikte auszuhalten und Kompromisse eingehen zu können. Demokratielernen ist auch das Einüben einer positiven Streitkultur.

 

Politische Bildung ist grundlegend für die Gestaltung eines so verstandenen demokratischen Miteinanders. Sie muss gefördert und allen Menschen zugänglich gemacht werden. Den normativen Rahmen dafür bietet das Grundgesetz.

 

Beschlossen von der Mitgliederversammlung des AdB am 28.11.2018, Goslar

 


 

Der Auftakt für die Aktivitäten im Kontext des Jahresthemas wurde durch die Fachtagung gegeben, die am 27. und 28. November 2018 im Bildungshaus Zeppelin & Steinberg e. V. in Goslar zum gleichnamigen Thema stattfand. Sie stellte das Jahresthema in den Kontext gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen wie Globalisierung, Digitalisierung und Rechtspopulismus. Es wurden die Spannungsverhältnisse zu den Wertorientierungen des Grundgesetzes deutlich, die in der politischen Bildung aufgegriffen und bearbeitet werden müssen.

 

Professor Dr. Christoph Gusy, Inhaber des Lehrstuhls für öffentliches Recht, Staatslehre und Verfassungsgeschichte an der Universität Bielefeld, explizierte in einem einführenden Vortrag mit dem Titel „In guter Verfassung? Das Grundgesetz und die Dynamik des gesellschaftlichen Wandels“ acht Thesen zur Rolle des Grundgesetzes, zum Verhältnis dieses Regelwerkes zu EU-Recht und den Landesverfassungen und zu den Verfassungsdebatten der letzten Jahrzehnte.

 

Professor Dr. Christoph Gusy bei seinem Vortrag; Foto: AdB

 

Dass die Bundesrepublik im Zentrum Europas eine historisch einzigartig lange Epoche von 70 Jahren Frieden, Demokratie und Menschenrechten durchleben konnte, ist – so der Referent – auch ein Verdienst ihrer Verfassung. Das Grundgesetz legitimierte sich anfangs am ehesten aus seiner politischen Alternativlosigkeit. Es gibt Leitlinien und Grenzen vor, lässt aber auch Änderungen zu, die durch gesellschaftliche Wandlungsprozesse nötig werden. Die Bevölkerung hat das Grundgesetz damals nicht beschlossen, aber sie hat nachträglich durch die Beteiligung an zahlreichen Wahlen, die Mitgliedschaft in demokratischen Parteien, durch gesellschaftliche Unterstützungsorganisationen und die Übernahme von Wahl- und Ehrenämtern zugestimmt. Zentrale Themen der Verfassungsdiskussionen waren u. a. Sicherung und Ausbau der Demokratie, „alte“ oder „neue“ Sicherheitsarchitektur, Umbau des Föderalismus, europäische Einigung, Ausbau der Grund- und Menschenrechte, insbesondere die Menschenwürde.

 

Die Bundesrepublik und ihr Recht sind „offener“ und internationaler, sozialer und ökologischer, transparenter und zivilgesellschaftlicher geworden – auch durch die Europäisierung und Globalisierung. Wenn aber die Menschen den Wert der europäischen Einigung nicht mehr einsehen, so der Referent, gefährdet dies nicht nur die Legitimation der Europäischen Gemeinschaft, sondern auch diejenige der Verfassungen seiner Mitgliedstaaten. Es sei wichtig, die berechtigten Sorgen der Menschen ernst zu nehmen, sich aber auch immer wieder für die freiheitliche Demokratie einzusetzen. Dafür kann unser Grundgesetz Grundlage und Richtung sein.

 

Nach dem Vortrag gingen die Teilnehmenden in drei Gesprächsforen, die die Möglichkeit boten, den Tagungstitel aus drei unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten: Im Gesprächsforum „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ widmeten sich die Teilnehmenden der Frage, ob, wodurch und wie weit die Menschenwürde antastbar geworden ist und welche Entwicklungen dabei in den letzten Jahren zu beobachten sind. Beispiele von menschenverachtenden Äußerungen in politischen Debatten dienten als Ausgangspunkt der Diskussion. Nicht zuletzt ging es auch um die Frage, was diese Entwicklung für die politische Bildung bedeutet.

 

Im Gesprächsforum „Wertorientierungen des Grundgesetzes“ waren die Wände des Seminarraums mit unzähligen Karten beklebt, auf denen verschiedenste Werte notiert waren. In Kleingruppen ordneten die Teilnehmenden diese Werte den Grundrechten zu. Anschließend diskutierten sie mögliche Zusammenhänge der Wertorientierung der Grundrechte bzw. des Grundgesetzes mit dem Alltag politischen Bildens.

 

Das dritte Gesprächsforum widmete sich dem „Grundgesetz im gesellschaftlichen Wandel“. Das Grundgesetz wurde in den vergangenen 70 Jahren immer wieder verändert und an die gesellschaftlichen Entwicklungen angepasst. So spiegelt es in gewisser Weise in seiner heutigen Form den gesellschaftlichen Wandel der vergangenen Jahre wider. Mit Hilfe eines Zeitstrahls konnten die Teilnehmenden diesem Wandel nachgehen und diskutieren, welche gesellschaftlichen Ereignisse welche Veränderungen ausgelöst und wie diese wiederum die Gesellschaft beeinflusst haben. Diskutiert wurden auch hier der Bezug zur Praxis politischer Bildung und die Frage, wie das Grundgesetz im gesellschaftlichen Wandel stärker zum Thema in der politischen Bildung gemacht werden kann.

 

„Grundgesetz im gesellschaftlichen Wandel“ Foto: AdB

 

Angeregt durch die Gespräche und Eindrücke in den Gesprächsforen, kamen die Teilnehmenden wieder im Plenum zusammen und sammelten mit dem online-Tool Mentimeter (menti.com) Antworten auf die Frage: „Was braucht unsere Demokratie, um in guter Verfassung zu sein?“ Hier knüpfte der Einstieg am zweiten Tag an, indem das Mentimeter-Stimmungsbild vom Vortag noch einmal präzisiert wurde mit der Frage: „Was trage ich dazu bei, dass unsere Demokratie in guter Verfassung ist?“ War das erste Bild noch gefüllt mit eher abstrakten Begriffen, wurde es nun konkreter und persönlicher – eine passende Überleitung zur Arbeit in den drei Workshops, bei der es um die konkrete Praxis politischer Bildung und die eigene Haltung ging:

 

Dr. Dennis Riffel und Annalena Baasch von Gegen Vergessen – Für Demokratie e. V. boten einen Workshop mit dem Titel „Demokratiegeschichte als Demokratiestärkung – Spurensuche vor Ort“ an. Sie machten deutlich, dass sich Demokratie und ihre Geschichte nicht nur in Hauptstädten und Parlamenten abspielen, sondern an jedem Ort Deutschlands Spuren von Demokratie und Partizipation zu finden sind. Die Teilnehmer*innen erarbeiteten Beispielseminare – insbesondere mit Blick auf die demokratiegeschichtlichen Jubiläen des Jahres 2019 – in den Bereichen der Jugend- und Erwachsenenbildung mit Zugängen zur Demokratiegeschichte vor Ort.

 

Frank Feuerschütz, Jugendbildungsreferent in der Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein e. V., stellte im Workshop Die Würde des Menschen ist unantastbar – auch im Netz?“ die Bewahrung der Freiheitsrechte als große Herausforderung des 21. Jahrhunderts in den Fokus, die sich sowohl in den klassischen als auch in den digitalen Medien stellt. Was geschieht mit unseren Grundrechten, wenn sich die Künstliche Intelligenz (KI) immer weiterentwickelt und Entscheidungen über immer mehr Bereiche in unserem Leben trifft? Was passiert, wenn KI selbstständig lernt und Einfluss darauf haben wird, wie wir in Zukunft arbeiten und leben werden? In diesem Workshop wurde diskutiert, wie diese Konsequenzen aussehen und welcher Auftrag sich daraus für die politische Bildung ergibt.

 

Im Workshop „Wer spielt hier mit den Grundrechten unserer Demokratie? Kreative Zugänge zum Grundgesetz“ machten die Referentinnen Claudia Carla und Claudia Kühhirt von der Evangelischen Akademie der Nordkirche mit den Teilnehmenden den Praxistest: Kann man sich mit Lust und Interesse mit den Grundrechten beschäftigen und ihre Bedeutung für das eigene Leben und das Miteinander erkennen? Dafür stellten sie das Spiel „GG20 – Spiel mit den Grundrechten unserer Demokratie“ zur Verfügung sowie die Ausstellung mit den Illustrationen zum Grundgesetz. Deutlich wurde: Die Grundrechte sind „der Rede wert“! Die Referentinnen berichteten von ihren positiven Erfahrungen in der Bildungsarbeit und von den verschiedenen Einsatzmöglichkeiten.

 

Mit dem Blick nach vorn, den Herausforderungen und Aufgaben insbesondere der politischen Bildung, beschäftigte sich Dr. Ellen Ueberschär, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, in ihrem Vortrag mit dem Titel „Das Grundgesetz ist Vorgabe, Orientierung und Verpflichtung für demokratisches Handeln. Wie füllen wir es mit Leben? Was ist der Auftrag heute?“ Sie beschrieb die aus ihrer Sicht größten Herausforderungen des liberalen Verfassungsstaats seit 1989 anhand von verschiedenen Krisensymptomen: dem Unsicherheitsgefühl in weiten Teilen der Gesellschaft, dem daraus erwachsenen Pessimismus, dem Leistungsversagen des Staates. Sie wies auf den Kontrollverlust durch Globalisierungserfahrungen und Europäisierung hin, auf die Repräsentationslücke, da sich Teile der Wähler*innen nicht mehr gehört und vertreten fühlen, sowie auf neue und alte Feinde der Demokratie. Dazu gehören auch digitale Strategien der Beeinflussung, Manipulationen und Verschwörungstheorien.

 

Dr. Ellen Ueberschär bei ihrem Vortrag; Foto: AdB

 

Was bedeutet das alles für die politische Bildung? Wie ist sie aufgestellt – gerade auch in strukturschwachen Regionen? Was kann sie dem Agendasetting rechter Populisten entgegensetzen? Wie kann sie sich in die Diskussionen im Netz einmischen? Die Referentin hob die Bedeutung und den Wert einer ausdifferenzierten und stabilen Zivilgesellschaft hervor, zu der auch die Träger politischer Bildung gehören. Politische Bildung kann über verschiedene Wege und Formate, fundiert durch ein verlässliches Wissen und verbunden mit einer klaren Haltung, Orientierung geben. Die verbindenden Werte müssen dabei gemeinsam ausgehandelt werden. Politische Bildung sollte die Urteilskraft stärken und zum politischen Handeln anregen. Was sind die Narrative, die den Menschen Lust machen, das Land mitzugestalten? Starke Schlüsselpersonen, so die Referentin, sind dabei hilfreich und können positive Emotionen transportieren, die wiederum die Welterschließung strukturieren. Aber: Es ist ein langer Weg hin zu einer resilienten Demokratie.

 

Den Abschluss der Tagung bildeten Statements aus drei Perspektiven: Linda Blöchl, Referentin und Landeskoordinatorin von „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ in der Außenstelle Bremerhaven der Landeszentrale für politische Bildung Bremen, gab den Teilnehmenden ein Feedback zu ihrem Erleben während der Tagung: Der konstruktive Austausch und die Diskussionsfreudigkeit stimmen hoffnungsvoll und geben vielfältige Anregungen. Wichtig sei es aus ihrer Sicht, generationsübergreifend zu arbeiten und in der Fläche zu wirken. Auch ein kleines Engagement könne zu Veränderungen führen.

 

Auch Roland Wylezol, Leiter der Bildungsstätte Alte Feuerwache e. V., Jugendbildungsstätte Kaubstraße, versicherte, verschiedene Anregungen mit in den Arbeitsalltag nehmen zu können. Er verwies auf die Notwendigkeit, gerade auch die Menschen in die Veranstaltungen politischer Bildung einzubeziehen, die von Ausgrenzung und Diskriminierung betroffen seien, um die Wertorientierungen, die mit dem Grundgesetz verbunden sind, praxisnah in den Alltag der Bildungsarbeit zu integrieren.

 

Ina Bielenberg, Geschäftsführerin des AdB, hatte, wie es bereits gute Tradition ist, das Schlusswort: Ihr war es wichtig, noch einmal auf die enge, dynamische Wechselbeziehung zwischen dem Grundgesetz und den gesellschaftlichen Entwicklungen hinzuweisen. Das Grundgesetz stellt den Rechtsrahmen für die Demokratie, ist darüber hinaus aber auch ein mit Werten verbundenes Regelwerk für das demokratische Zusammenleben. Die Frage, welche Werte die politische Bildung vermittelt oder vermitteln sollte, ist wohl so alt wie die Profession selbst. Ihr Ziel ist es, Menschen die Kompetenz zu vermitteln, politisch urteilen und handeln zu können, Urteils- und Handlungsfähigkeit sind dabei immer wertegebunden. Aufgabe der politischen Bildung muss es daher sein, die mit dem Grundgesetz verbundenen Wertvorstellungen wieder stark zu machen, den Wert der liberalen und offenen Demokratie in den Mittelpunkt zu rücken und eine neue Lust auf das Mitmachen zu wecken, das nicht auf Egoismus und Abgrenzung basiert.

 

Berichte aus der Praxis politischer Bildung zum Jahresthema 2019

 

Die mit dieser Fachtagung angerissenen Themen wurden in vielfältigen Veranstaltungen der Mitgliedseinrichtungen aufgegriffen. Die im Folgenden kurz benannten Angebote stehen für die ca. 50 Tagungen, Seminare, Abendveranstaltungen, für die der AdB in seinem Veranstaltungskalender 2019 geworben hat.

 

Das Gustav-Stresemann-Institut e. V. in Bonn bot ein Seminar mit dem Titel „Sicherheitsbedürfnis vs. Freiheitsrechte – wie weit darf der Staat bei der Strafverfolgung und der Abwehr von Gefährdungen gehen?“ an, in dem es um das Spannungsverhältnis zwischen dem Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft und den Freiheitsrechten des Einzelnen ging. Dabei wurden die Herausforderungen und Bedrohungen von Staat und Gesellschaft durch Clankriminalität, organisierte Kriminalität, Internetkriminalität und Digitalisierung diskutiert. Deutlich wurde, welchen Einfluss die Grund- und Bürgerrechte auf die Strafverfolgung und die Verhütung von Straftaten haben.

 

Zu einer Deutsch-Polnischen Jugendbegegnung lud das Internationale Forum Burg Liebenzell e. V. nach Oswiecim und nach Bad Liebenzell ein. Thema der Begegnungen waren die Menschenrechte gestern und heute und dabei besonders das Recht auf faire Arbeit. Als die Artikel 23 und 24 über das Recht auf faire Arbeit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 1948 ausgearbeitet wurden, hatten die Mitglieder der internationalen Kommission die Berichte und Bilder von Menschen in Zwangsarbeit in den Gebieten unter der NS-Führung im Kopf. Ihr Ziel war es, weltweit das Recht auf menschenwürdige Arbeit zu verwirklichen und Verletzungen, wie sie in der Vergangenheit begangen wurden, künftig zu verhindern. Während der Begegnungen ging es um die Bedingungen der menschenunwürdigen Arbeit wie Zwangsarbeit, die während der NS-Zeit in den Arbeits- und Konzentrationslagern und den besetzten Gebieten an der Tagesordnung waren. Zugleich wurden die heutigen Arbeitsbedingungen in Polen, Deutschland und weltweit in den Blick genommen.

 

Aus Anlass des 70. Geburtstags des Grundgesetzes veranstaltete ein breites Frankfurter Bündnis aus Politik, Kultur und Zivilgesellschaft – darunter auch die Bildungsstätte Anne Frank – vor der Frankfurter Paulskirche, einem für die deutsche Demokratiegeschichte bedeutenden Ort, ein buntes Fest mit Rede- und Kulturbeiträgen, aber auch mit Diskussionsrunden zu einzelnen Artikeln. Diese Veranstaltung nahm vor allem auch die aktuelle Situation in den Blick, in der sich verstärkt diejenigen zu Wort melden, die das Grundgesetz gezielt untergraben wollen: mit Angriffen auf die Würde der Menschen, auf die Religionsfreiheit und auf das Gleichberechtigungsgebot. Das deutliche Signal: Es ist wieder an der Zeit, für das Grundgesetz einzutreten!

 

Die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit lud zu einer Lesung mit dem Titel „Angst essen Freiheit auf – 70 Jahre Grundrechte“ ein. Die Verteidigung der Freiheitsrechte hat Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zu ihrer Herzensangelegenheit gemacht. In ihrem Buch „ANGST ESSEN FREIHEIT AUF – Warum wir unsere Grundrechte schützen müssen“ ruft sie ins Gedächtnis, wie bedeutend das Grundgesetz und die dort verankerten Grundrechte sind. Sie bilden das feste Fundament unserer Demokratie. Aber sind wir uns ihrer Bedeutung noch bewusst? Oder sind wir dabei, sie auf dem Altar der Sicherheit zu opfern? Die Verteidigung der Grundrechte ist der Autorin deshalb besonders wichtig. In ihrem Buch zeigt sie, warum wir die Grundrechte brauchen. Wo sie zu Recht eingeschränkt werden müssen und wo gerade nicht.

 

Auch ein Bildungsurlaubsseminar, angeboten von Mariaspring – Ländliche Heimvolkshochschule e. V., widmete sich unter dem Titel „Das Grundgesetz wird 70! Was hat das mit mir zu tun?“ diesem Thema. Vor dem Hintergrund des zunehmenden Rechtspopulismus in Deutschland und Europa wurde während des Seminars anhand ausgewählter Themen die Relevanz des Grundgesetzes für den Schutz der Demokratie, der Gewaltenteilung und der Lebensverhältnisse der Menschen in Deutschland in den Blick genommen. Themen waren u. a. die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, die Organisation des Parlamentarismus und das Wahlrecht, die deutsche Wiedervereinigung und der Föderalismus.

 

Das Jahresthema in der Fachzeitschrift „Außerschulische Bildung“

 

In der Fachzeitschrift „Außerschulische Bildung“ wurde in allen vier Ausgaben in 2019 ein Beitrag zum Jahresthema aufgenommen. In der ersten Ausgabe (1/2919) wurde neben dem Abdruck des Referats von Dr. Ellen Ueberschär „Demokratie – das sind wir alle. Sind wir das noch?“, den sie während der Fachtagung im November 2018 gehalten hat, ein Beitrag über die Maßnahmen der Bundeszentrale für politische Bildung zum Thema Grundgesetz veröffentlicht (von Nina Schillings und Josephine Evens „You’ve got to fight for your right“.

 

In der Ausgabe 2/2019 berichteten Arila Feurich und Frederik Damerau über das Projekt Thüringen 19_19 als Praxisbeispiel für Vernetzung und Professionalisierung „2019 – ein Jubiläumsjahr für Demokratiestärkung und demokratisches Lernen“.

 

Michael Parak und Dennis Riffel von Gegen Vergessen – Für Demokratie e. V. zeigten in ihrem Beitrag „Das Grundgesetz leben“, welches Potenzial positive Beispiele aus der Demokratiegeschichte haben können, bei denen es nicht um unkritische Heldenverehrung und lineare Erfolgsgeschichten, sondern um „Best-Practice-Beispiele“ der Zivilgesellschaft geht.

 

Eine gute Zusammenschau der Auseinandersetzung mit dem Grundgesetz in der Praxis politischer Bildung und damit mit den Aktivitäten des AdB zu diesem Jahresthema boten Rebecca Arbter und Lea Jaenicke mit ihrem Beitrag in der Ausgabe 4/2020 „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Das Grundgesetz als Gegenstand non-formaler politischer Bildung.

 

 

Bilanz und Ausblick auf das Jahresthema 2019

 

Das Jahresthema 2019 wird alle Akteure in der politischen Bildung selbstverständlich weiterhin begleiten, bilden doch die Grund- und Menschenrechte die normative Grundlage für alle Bildungsarbeit im AdB. Mit dem Schwerpunkt in diesem Jahr, konnte aber das Augenmerk noch einmal ganz besonders auf die Grundrechte und das Grundgesetz gelenkt werden. Es konnte daran erinnert werden, dass es Aufgabe der Politik, der politischen Bildung und der gesamten Zivilgesellschaft ist, die im Grundgesetz verankerten Grundrechte zu verteidigen, zu ihrer Sicherung und Weiterentwicklung sowie zu ihrer Vermittlung beizutragen.

 

Der AdB tritt mit seinen Mitgliedseinrichtungen für Demokratie, Sozial- und Rechtsstaatlichkeit sowie die unveräußerlichen Menschenrechte ein, engagiert sich für die uneingeschränkte freie Entfaltung und Entwicklung aller Menschen und positioniert sich gegen Demokratiefeindlichkeit und Rechtspopulismus und Rechtsextremismus. Bereits 2018 hat der AdB in seiner Standortbestimmung „Politische Bildung im AdB für Vielfalt und gegen Ausgrenzung“ diese Anliegen explizit benannt.