“Demokratie
braucht
politische Bildung”

TECE – Transatlantic Exchange of Civic Educators

Pilotprojekt zur Stärkung der transatlantischen Dimension politischer Bildung
Europäische und internationale politische Bildung im AdB

Nach beinahe 3 Jahren Vorlaufzeit konnten der Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e. V. mit dem Jonathan M. Tisch College of Civic Life an der Tufts University in Boston einen neuen transatlantischen Austausch von außerschulischen politischen Bildner*innen starten: „TECE – Transatlantic Exchange of Civic Educators“. Von April 2021 bis Juni 2022 stehen deutsche und US-amerikanische Bildner*innen und Fachkräfte aus der politischen Bildung und dem Bereich Civic Education/Engagement in enger Zusammenarbeit.

TECE-Fellows
TECE-Fellows, Foto: AdB

Mit TECE soll die transatlantische Dimension politischer Bildung neu ausgestaltet werden. Das übergreifende Ziel des Pilotprojekts ist es, die Machbarkeit und den Wert des deutsch-amerikanischen Austauschs im Bereich der außerschulischen politischen Jugendbildung zu untersuchen, relevante Themen und Formate zu identifizieren und Aufschlüsse zu erhalten, ob und welche Austauschformate in diesem Bereich von Fachkräften aus beiden Ländern als hilfreich angesehen werden. Darüber hinaus sollten erste Schritte unternommen werden, ein Netzwerk von Multiplikator*innen in diesem Bereich aufzubauen, den Aufbau von Partnerschaften für zukünftige Projekte anzuregen und zu unterstützen sowie die Anerkennung/Rolle von außerschulischen Akteuren in der politischen Bildung und im zivilgesellschaftlichen Austausch beider Länder auszubauen.

 

Unter über 70 Bewerber*innen wurden 22 Fellows ausgewählt, die aktiv an Präsenzbegegnungsaktivitäten in Deutschland und den USA teilnehmen, welche bspw. Peer-Learning-Seminare, Besuche bei relevanten Organisationen, Workshops und thematische Kleingruppenarbeit beinhalten. Hinzu kommen interne und mit einer weiteren Öffentlichkeit fokussierte Online-Programme, die den fachlichen Diskurs zu unterschiedlichsten Fragen politischer Bildung vertiefen. Die Kerngruppe der TECE-Fellows arbeitet über einen Zeitraum von 12 Monaten in Online-Seminaren und persönlichen Austauschaktivitäten in Deutschland und den USA zusammen. Die Fellows haben die einmalige Gelegenheit, vor dem Hintergrund spezifischer regionaler und nationaler Kontexte und über Sektoren hinweg voneinander und miteinander zu lernen und in ihre Fachfelder zurückzuwirken.

 

Die Auswahl der 22 Fellows erfolgte auf der Grundlage ihrer Interessen und Erfahrungen sowie ihrer Fähigkeit. Weiterhin spielte ihre Motivation, in ihren aktuellen beruflichen Rollen das in der Begegnung Eröffnete umzusetzen und transatlantische Partnerschaften zu entwickeln, eine wichtige Rolle. Die Gruppe der TECE-Fellows spiegelt die große Vielfalt von Sektoren, Organisationen und Einzelpersonen wider, die eine wichtige Rolle in der zivilgesellschaftlichen Entwicklung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen spielen. Die Profile der Teilnehmenden können auf der Projekt-Website eingesehen werden.

 

Die Bemühung, mithilfe des Projekts die transatlantischen Beziehungen wieder verstärkt in den Bereich der politischen Bildung einzubringen, kommt zu einem Zeitpunkt, da wir sowohl in Deutschland als auch in den Vereinigten Staaten ähnliche gesellschaftliche Herausforderungen erleben: zunehmender Populismus, vielfältige Diskriminierungserfahrungen unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen, eine hohe gesellschaftliche Polarisierung und Misstrauen gegenüber demokratischen Institutionen und den Medien. Ganz zu schweigen von den ohnehin angespannten transatlantischen Beziehungen, die durch die COVID-19-Pandemie und deren nicht abzusehende gesellschaftliche Konsequenzen noch verschärft wurden.

 

Obwohl Deutschlands Infrastruktur für außerschulische politische Bildung nach dem Zweiten Weltkrieg maßgeblich in der US-Amerikanischen Re-education-Politik wurzelt, ist der fachliche und pädagogische Austausch auf der Ebene der Jugendbildungsarbeit seither sehr spärlich. Fachdiskurse in diesem Bereich haben sich separat entwickelt, was zu ausgeprägten und höchst unterschiedlichen Infrastrukturen, Konzepten und Arbeitsansätzen geführt hat.

 

Die Fellows dieses Austauschs, der von Programmmitarbeiter*innen der beiden etablierten Partnerorganisationen und weiteren Expert*innen unterstützt wird, untersuchen die Ähnlichkeiten und Unterschiede dieser Systeme und diskutieren, wie diese sich trotz einer verflochtenen Geschichte und gleichgelagerter Herausforderungen so auseinanderentwickelt haben: Die Fellows sind eingeladen, über den nationalen Diskurs hinauszublicken und neue Denkweisen und Sichtweisen auf die eigene Arbeit zu entwickeln.

 

Als Teil des Programms wurden sieben Online-Seminare ausschließlich für die Fellows abgehalten und ein neuntägiger persönlicher Austausch in Deutschland durchgeführt. Dieser intensive Austausch und das von den Teilnehmenden mitgebrachte Fachwissen haben zu einem hohen Niveau der fachlichen Diskussion geführt.

Foto: AdB

Gemeinsames Seminar in Weimar und Berlin

 

Nach vielen Online-Treffen, viel Vorfreude und wiederholt Corona-bedingtem change of plans war es dann im November 2021 soweit: Die Fellows trafen sich vom 5. bis 14. November 2021 zum ersten Mal persönlich in Deutschland. Die Gruppe von 21 Fellows, davon 13 Kolleg*innen aus den USA, und vier begleitende Kolleg*innen aus den Partnerorganisationen kam zunächst für vier Tage in der Europäische Jugendbildungs- und Begegnungsstätte (EJBW) in Weimar zusammen, bevor sie – mit einem Zwischenstopp in Erfurt – für den Rest des Aufenthalts zu einer weiteren AdB-Mitgliedsorganisation, dem Centre Français de Berlin, weiterreiste.

 

Die Ziele des persönlichen Treffens waren 1.) das Kennenlernen der deutschen Landschaft der politischen Bildung (Diskurs, thematische Schwerpunkte und Strukturen). 2.) stand die weitere Entwicklung von Verbindungen und die Erkundung potenzieller Partnerschaften innerhalb der Gruppe auf dem Programm. 3.) wurde eine Gelegenheit für Peer-Learning und den Austausch von Fachwissen in vielfältigen selbst gesteuerten Workshop-Prozessen und thematisch fokussierten Arbeitsgruppen geboten. 4.) war die Schaffung einer anregenden Lernumgebung, die die Teilnehmer*innen dazu bewegt, über ihre gewohnten Kontexte hinauszudenken, ein wichtiges Anliegen. Zu diesem Zweck umfasste das Programm eine Vielzahl von Formaten, von Gruppenseminaren und Expert*innenrunden bis hin zu Site-Visits bei relevanten Organisationen und methodische Workshops. Als thematische Leitplanken wurden prominente Charakteristika politischer Bildung in Deutschland in den Blick genommen: Rechtsextremismusprävention, internationale Jugendarbeit, non-formale Bildung, Erinnerungsarbeit und historisch-politische Bildung, Dekolonialisierungs- und Antirassismusdiskurse u. a.

 

Die Teilnehmer*innen hatten die Möglichkeit, neben der Teilnahme an einem dichten Programm, mit insgesamt 21 Organisationen aus der politischen Bildung in Kontakt zu treten, darunter u. a.: neue deutsche organisationen e. V., Licht-Blicke e. V., Stolpersteine Berlin e. V., Wissenschaft im Dialog und die Berliner Landeszentrale für politische Bildung.

 

Darüber hinaus lernten die TECE-Fellows verschiedene Projekte des AdB (z. B. Plattform politischbilden.de und DIGIT-AL) und die Arbeit der AdB-Mitgliedsorganisationen (z. B. die Projekte der internationalen Jugendarbeit der EJBW und das Projekt „Migrant*innen als Fachkräfte der politischen Bildung“ sowie Lernort Stadion e. V.) kennen.

 

Diese externen Inputs lieferten Inspiration und neue Informationen, aber wie eine Teilnehmerin uns mit einem Zitat von John Dewey erinnerte: „We do not learn from experience … we learn from reflecting on experience.“ Daher waren die Reflexionsgruppen ein weiteres wichtiges Element des Wochenprogramms, bei dem die Teilnehmer*innen die Möglichkeit hatten, sich in gleichbleibenden Kleingruppen miteinander auszutauschen. Eine weitere Gelegenheit zur Arbeit in Kleingruppen bot sich den Fellows in vier thematischen Arbeitsgruppen, die im Sommer und Herbst in Online-Sitzungen entwickelt wurden. Dort hatten die Fellows die Möglichkeit, Themen vorzuschlagen und Gruppen zu bilden, die bestimmte Themen von Interesse eingehender untersuchen sollten. Letztendlich konzentrierten sich die vier Gruppen auf folgende Themen: historisch-politische Bildung, Digitalisierung und politische Bildung, Civic Learning und Neutralität in polarisierten Gesellschaften sowie Empowerment von Jugendlichen. Während des persönlichen Treffens leitete jede Kleingruppe eine Sitzung mit der gesamten Gruppe, um die Arbeit an ihren Themen voranzutreiben.

 

Als die Teilnehmer*innen am Ende dieser anspruchsvollen 10 Tage ihre Koffer packten und sich verabschiedeten, ging es darum, sich wieder an den Alltag zu gewöhnen. Die Bemerkung einer Teilnehmerin: „How can I possibly explain what this experience has been like to my colleagues and family back home?” Für viele Teilnehmer*innen war es die erste nicht-virtuelle Weiterbildungserfahrung seit März 2020, und die gemeinsame Zeit hat ihnen vor Augen geführt, wie lohnend und intensiv diese Art von Austausch ist. Zweifellos gingen die Fellows und Organisator*innen mit einem Gefühl der Verbundenheit, einem Kopf voller Gedanken und Ideen und einem Blick auf das nächste Treffen in Boston, Massachusetts und Washington DC im Mai 2022 nach Hause.

 

TECE verlangt von den Fellows über ein Jahr lang ein hohes commitment ab, inhaltlich, personell und physisch. Alle sind sehr dankbar für die intensive Zeit, die die Fellows gemeinsam mit den Projektverantwortlichen verbringen können. In einer Zeit in der ad hoc-Events und Kurzzeitpädagogik die Programme und Agenden von non-formalem Lernen und politischer Bildung prägen, bildet TECE einen Gegenpol. Es ist unendlich wertvoll, auf die Kraft non-formaler Bildungsprozesse und Settings zu vertrauen und ihnen den notwendigen Raum und die notwendige Zeit zu geben, damit sich Erfahrungen entfalten können.

 

Thematische Arbeitsgruppen bilden einen zentralen Bestandteil des gesamten Fellowship-Programms. Diese Gruppen, die seit Beginn intensiv online zusammenarbeiten, haben sich während des gesamten Projekts unabhängig voneinander getroffen, mit dem Ziel in den Gruppen ein Ergebnis zu erzielen, das Herausforderungen in diesen spezifischen Teilbereichen auf interdisziplinäre Weise verstehen und bearbeiten hilft. Die vier Gruppen konzentrieren sich auf die Themen historisch-politische Bildung, Digitalisierung, Civic Learning und Neutralität in polarisierten Gesellschaften sowie Youth Empowerment.

 

Neben dem Schwerpunkt der konkreten Arbeit der TECE-Fellows wurden vier offene Online-Veranstaltungen mit insgesamt mehr als 250 Teilnehmer*innen in 2021 durchgeführt:

  • „Civic Learning vs. Politische Bildung: A Discussion of Concepts, Infrastructures, & Approaches in the US and Germany” (20. April 2021)
  • „Growing Up Across the Pond: Exploring the experiences of young people in Germany and the USA” (3. Mai 2021)
  • „Civics in the Hot Seat: Civic Education & Politische Bildung Under Pressure” (16. September 2021)
  • „The Legacies of Reeducation in Germany and Beyond” (11. Oktober 2021)
Foto: AdB

Ausblick

 

Die thematischen Schwerpunkte, auf die sich das Projekt 2022 als Besonderheiten des US-Feldes konzentrieren wird, sind Schnittstellen zwischen Community Organizing und sozialen Bewegungen; Rassismus und Erinnerungsarbeit; Youth Voice/Empowerment; Polarisierung und Civic Dialogue.

 

In der AdB-Fachzeitschrift „Außerschulische Bildung“ wurde in der Ausgabe 1/2022 ein Artikel über den US-amerikanischen Bereich des Civic Learning mit einer vergleichenden deutsch-amerikanischen Perspektive veröffentlicht. Eine Online-Fachtagung im Mai 2022 ist in Zusammenarbeit mit der Berliner Landeszentrale für politische Bildung geplant. Außerdem hat IJAB, die Fachstelle für internationale Jugendarbeit, die für den Aufbau eines deutsch-amerikanischen Jugendwerks zuständig ist, Anfang 2022 ein Länderheft zu den USA herausgegeben. Diese Arbeit wurde von einem TECE-Fellow koordiniert und enthält einen Artikel über die Erfahrungen von TECE. Außerdem sind ein Blog und eine Artikelserie in der amerikanischen Zeitschrift New Political Science geplant, die von einem TECE-Fellow organisiert werden. Ebenfalls in der Entwicklung und Produktion ist eine Projektpublikation, die diesen einzigartigen Lernprozess reflektiert, die Ergebnisse des Pilotprojekts vorstellt und die Kernthemen des Projekts aus einer vergleichenden Perspektive zwischen den USA und Deutschland beleuchtet.

 

TECE wird gefördert aus dem Transatlantik-Programm des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK).