Ob misslungener Digitalpakt, hilfloser Umgang mit sozialen Netzwerken oder Rückschritte beim Datenschutz … – versäumt wurde, über Inhalte und Probleme der Digitalisierung durch Exklusion fördernde Strukturen und Mechanismen zu sprechen: vom fehlenden Internetzugang bis zum Plattform-Kapitalismus. Stattdessen rücken Nebenerscheinungen wie die Vor- und Nachteile des Homeoffice in den Mittelpunkt, das nur max. 25 % aller Arbeitsplätze betrifft, nicht wenige davon ohnehin in Kurzarbeit. In Kurzarbeit waren und sind auch ein Teil der Fachgruppenmitglieder.
Während diese Minderheit für ihre Selbstdarstellung in der neuen Zoom-, Big-Blue-Button- oder anderen Video-Wirklichkeit virtuelle Hintergründe aussucht, berichtet z. B. DIE ZEIT über das US-amerikanische Start-up Clearview, das aus illegal im Netz gesammelten Bildern Algorithmen zur Gesichtserkennung entwickelt, die nicht-weiße Menschen diskriminieren, und diese an staatliche US-Behörden verkauft. Im Juni 2020 titelt netzpolitik.org "Eine polnische Firma schafft gerade unsere Anonymität ab" und schreibt über PimEyes, die ihre kostenlose Suchmaschine mit Firmensitz in einem EU-Land ohne jede rechtliche Grundlage und Zustimmung mit mehr als 900 Millionen Gesichtern aus dem Internet speist. Die bildbasierte Kommunikation wird zum Sinnbild wachsender digitaler Disparität. Statt Vielfalt fördert das Netz zunehmend diskriminierende Ungleichheit. Die Pandemie wird wie in vielen Bereichen dabei zum Brennglas – ein Gemeinplatz, der sich leider nicht abnutzt sondern überall zeigt: Auch das löbliche Ringen um die Einhaltung hoher Datenschutzstandards bei der Entwicklung einer App zur Covid-19-Bekämpfung in Deutschland hat als „Nebenwirkung” den Ausschluss von Menschen. Für Smartphones, die älter als fünf Jahre sind, funktioniert die App nicht, weil sie sinnvoller Weise auf neueste Technologien setzt, die Datenschutz über Dezentralisierung und Handylaufzeit durch Akkuschonung favorisieren. Damit stehen einerseits Nutzer*innen-Interessen im Mittelpunkt, während gleichzeitig Exklusion durch fehlende Konsumkraft und Medienkompetenz u. a. in den App-Einstellungen vorprogrammiert ist. 25 Mio. Downloads bis Ende 2020 zeigen die mangelhafte Akzeptanz. Deutlich werden gleichzeitig die Komplexität und der damit verbundene Spagat, die Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen durch Digitalisierung lösen zu wollen und zu können. "Sie funktioniert – aber sie wirkt nicht" titelt ein Kommentar im ZDF und thematisiert die klaffende Lücke, die sich zwischen der Erwartung und der Realität auftut, wenn es um Problemlösung durch digitalisierte Unterstützung geht. Gedenk der enttäuschten Hoffnungen auf Teilhabe durch das Web 2.0 stellt sich ein Déjà-vu-Gefühl ein, das endlich dazu führen müsste, neben Investitionen in Hard- und Software, "digital Literacy", den Erwerb von Kompetenzen im Umgang mit Digitalisierung, in den Fokus zu rücken. Ob für Demokratie als politisches System oder den Wirtschaftsstandort – bei der Digitalisierung geht es längst nicht mehr nur um Zukunftsfähigkeit, sondern um existenzielle Fragen im Hier und Jetzt.
Auf stumm gestellt
Erst spät im Corona-Jahr 2020 rückte digital gestütztes Lernen vor allem im schulischen – und marginal im außerschulischen Bereich – in den Fokus der öffentlichen Diskussion, mindestens in den der Feuilletons. Auch hier kommen die meisten Stimmen aus dem Homeoffice, aus dem zurecht überforderte Eltern sich W-Lan und Rechner, Tablets und/oder Smartphones mit ihren Schulkindern teilen müssen. Über fehlende digitale Konzepte, technische Ausstattung und Kompetenz auf Seite der Lehrenden entsteht ein Klagechor, der jedoch viele Stimmen unterschlägt: Ohne Internetzugang, leistungsfähige Endgeräte und helfenden Eltern sind ein beträchtlicher Teil von Kindern und Jugendlichen dauerhaft auf stumm gestellt. Für sie geht es oft nicht um die Frage nach der Datenschutzsicherheit der Videokonferenzsoftware oder um die Stabilität der Lernplattform, sondern um den grundlegenden Anschluss an die Gesellschaft, um minimale Teilhabe (vgl. z. B. IW-Report 2020).
Mündet die Euphorie des Web 2.0 für alle in der bitteren, längst vor Corona aufgestellten These, dass statt Inklusion eher Exklusion überwiegt – als Grundsatzfrage für die Zukunft gesellschaftlicher Entwicklung? Wie funktioniert die digitalisierte Gesellschaft? Wie sollte sie gestaltet sein, um Teilhabe aller zu gewährleisten, um Prinzipien und Werte der Demokratie nicht nur abzusichern, sondern sie aktiv zu befördern?
Haben wir ja schon immer gesagt
Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Fachgruppe Digitale Medien und Demokratie seit Programmbeginn. Verbunden waren damit als Arbeitsauftrag von Anfang an gesellschaftspolitische Inhalte zur Digitalisierung, Fragen zu In- und Exklusion ebenso wie Tools für digital gestütztes Lernen als Gegenstand der Entwicklung und Erprobung neuer Ansätze von Lernen mit Medien über Medien. So konnte die Fachgruppe einerseits schnell auf Erfahrungen z. B. mit Videokommunikation zurückgreifen oder mit dem Einsatz von webbasierten Tools wie Kohoot-Quiz oder Mentimeter-Umfrage in Präsenzseminaren agieren. Andererseits war aus der Erfahrungen mit Onlinephasen vor, zwischen oder nach Seminaren in den Bildungsstätten leider auch die exkludierenden Elemente digitalen Lernens für die Fachgruppe nicht neu. Bekannt auch der Schmerz, statt aufgrund fehlender Stabilität von barrierefreier, datenschutzkonformer Open-Source-Software auf verlässlich laufende, kommerzielle Dienste zurückgreifen zu müssen.
Als Beispiel dafür steht die Entscheidung der Fachgruppenmitglieder, in Seminaren Zoom zu nutzen, das zur Verbesserung des Datenschutzes durch öffentlichen Druck gezwungen werden musste, statt Jitsi, ein unterstützenswertes, aber auch zu oft abstürzendes, technisch nicht ausgereiftes Projekt. Auch das Open-Source-Webkonferenzsystem BigBlueButton ringt, so die Erfahrung der Fachgruppe, noch immer um verlässliche Stabilität und intuitive Bedienung. Die aber ist grundlegend, um virtuell gestützte Seminare von Anfang an als positiv besetztes Lernerlebnis erfahren zu können und Internet- und Hardwareabstürze nicht als zusätzliche Frustrationsquelle zu etablieren. Im Datenschutz als Zusammentreffen eines Grundrechts und damit originären Themas von "Digitalen Medien und Demokratie" und der medienpraktischen Realität zeigt sich so sinnbildlich der Spagat für politische Bildung in diesen Zeiten. Der Umgang mit Digitalisierung muss also zu einem Kernthema politischer Bildung werden! Ein Kassandra-Ruf, der angesichts der aktuellen Lage den Fluch des Ungehörtseins noch immer nicht verloren zu haben scheint.
Cutting edge – der neuste heiße Schei*
Die reine 1:1 Übertragung von Lernsettings im physischen Raum auf Onlinelernangebote wurde aus den Vorerfahrungen durch die Fachgruppe verworfen, um auf die Erprobung von Netz-adäquaten, modularen Formen zu setzen. Noch Anfang März 2020 moderierten Fachgruppenmitglieder der Jugendbildungsstätte Kurt-Löwenstein, basa e. V. Bildungsstätte Alte Schule Anspach und Stiftung wannseeFORUM für die Bundeszentrale für politische Bildung/bpb auf ihrer "1. Digikonferenz. Die Zukunft in der wir leben wollen?!" in Frankfurt am Main ein BarCamp-Modul im Präsenz-Modus. Im Mai fand schon das dreitägige BarCamp politische Bildung – vom ABC Bildungs- und Tagungszentrum e. V. ausgerichtet in Kooperation mit dem Open educational ressources/OER-Camp, von der basa unterstützt und mit Teilnahme weiterer Fachgruppenmitglieder – zum ersten Mal als reines Onlineformat statt. Hier konnte zwar auch "nebenbei" die Methode als Onlinelernangebot selbst erfahren und erlernt werden, aber im Mittelpunkt standen weiterhin Inhalte zu "Digitalisierung und Demokratie": Tag 1: Schwerpunkt Inklusion, Tag 2: Schwerpunkt OER-Camp, Tag 3: Mobile (Digital) Learning & Gaming. basa e. V. stellte hier z. B. das im Text "Canvas City und die digitale Konstruktion der Wirklichkeit" beschriebene Projekt vor.