“Demokratie
braucht
politische Bildung”

Politische Bildung in einer Gesellschaft der Vielen

Das AdB-Modellprojekt "Polyphon! Diversität in der politischen Bildung stärken"
AdB-Projekte in Bundesprogrammen

Was braucht es, um sich als Verband oder Organisation der politischen Bildung zu öffnen und mehr gesellschaftliche Vielfalt zu repräsentieren? Seit September 2019 führt der Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e. V. (AdB) das Projekt "Polyphon! Diversität in der politischen Bildung stärken" durch. Das Projekt wird von der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb bis Juni 2022 gefördert und setzt sich mit Diversifizierungsstrategien im Verband und in der politischen Erwachsenenbildung auseinander.

Foto: Gerd Altmann/pixabay
Foto: Gerd Altmann/pixabay

Hintergrund zum Projektnamen und den Zielen

Der Projektname Polyphon! bedeutet nicht nur Vielstimmigkeit, sondern in Anlehnung an den Literaturwissenschaftler Michail Bachtin auch, dass die (Roman-)Geschichte nicht von einem dominanten Erzähler geprägt ist, sondern gerade durch einen Dialog verschiedener Stimmen und Perspektiven entsteht. Polyphon! steht damit auch symbolhaft für die Projektausrichtung und das Ziel des AdB: Der Verband möchte in Bezug auf migrantische und nicht-weiße Organisationen und Akteure vielfältiger werden und zur Stärkung einer heterogeneren Bildungslandschaft beitragen. Wie in vielen gesellschaftlichen Bereichen gibt es nicht nur im Verband, sondern in der politischen Bildung insgesamt ein Repräsentationsdefizit, was z. B. politische Bildner*innen of Color oder die Förderung von migrantischen und nicht-weißen Bildungsorganisationen betrifft. Für den AdB ist die Auseinandersetzung mit Diversifizierungsstrategien – und das gerade nicht nur in Bezug auf Zielgruppen – letztendlich auch eine Antwort auf Teilhabegerechtigkeit und eine Demokratisierung der Strukturen politischer Bildung.

 

Der Blick auf Strukturen: Rassismuskritik als ein Querschnittsthema für den AdB

Trotz der COVID-19-Pandemie kam das Projekt mit vielen neuen Perspektiven, Themen und zahlreichen Aktivitäten durch das Jahr 2020. Im Februar und Oktober fanden die beiden Sitzungen des fachlich sehr versierten Projektbeirates statt. So sind bspw. neben Vertreter*innen aus dem AdB und (post-)migrantischen Organisationen wie der Türkischen Gemeinde e. V. und den neuen deutschen organisationen e. V. auch namhafte Wissenschaftler*innen wie Prof. Dr. Karim Fereidooni und Prof. Dr. María do Mar Castro Varela Mitglieder des Beitrats. Seitens der bpb konnte Peggy Piesche, Referentin für Diversität, Intersektionalität und Dekolonialität, gewonnen werden.

 

Die Mitglieder des Beirats wiesen darauf hin, dass eine Diversifizierung und ein Transformationsprozess immer bei der Reflexion der eigenen Strukturen und Haltungen beginnt. Zentral ist neben einem Veränderungswunsch die Auseinandersetzung mit Rassismuskritik. Die diesbezüglich homogene Struktur des Verbandes sei auch eng verknüpft mit fehlenden Perspektiven und Repräsentationen von Menschen mit Rassismuserfahrung im Verband und in den Mitgliedseinrichtungen. Dies führe wiederum dazu, dass migrantische und nicht-weiße Akteure, die in der politischen Bildung tätig sind, sich wenig vom Verband angesprochen und vertreten fühlen.

 

Mitglieder des Projektbeirats von "Polyphon!"
Mitglieder des Projektbeirats, Foto: AdB

Auf Initiative des Polyphon-Projekts setzten sich verschiedene Gremien im Verband wie z. B. der Vorstand, das Team der Geschäftsstelle und verschiedene Kommissionen im Rahmen von Workshops mit Diskriminierungs- und Rassismuskritik auseinander, um besser Barrieren identifizieren und abbauen zu können. An den Rückmeldungen der Fortbildungsteilnehmenden wurde jedoch deutlich, dass ein großer Bedarf und Wunsch nach mehr Weiterbildung zu den Themen vorhanden ist. Das Thema Rassismus sei inzwischen so gesellschaftsrelevant, aber auch so komplex, dass ein einziger Fortbildungstag dem nicht gerecht werden könne. Das Jahresthema 2021 "Was WEISS ich? Rassismuskritisch denken lernen! Eine Kernaufgabe für Gesellschaft und Politische Bildung" und die dazugehörige Stellungnahme, die auf der Mitgliederversammlung des AdB am 26. November 2020 verabschiedet wurde, sind eine sehr gute Ergänzung zum Projekt Polyphon!, da sie noch mehr Möglichkeiten zur fachlichen Auseinandersetzung eröffnen.

 

Perspektivenvielfalt durch Vernetzung und Wissensaneignung

Um die verbandliche Heterogenität zu stärken und die Sichtbarkeit des AdB zu erhöhen, kooperiert und vernetzt sich das Projekt vor allem mit neuen Trägern und Minderheitsorganisationen, die im Bereich der politischen Bildung tätig sind. So richten sich die meisten Angebote des Projekts nicht nur an Mitgliedseinrichtungen, sondern auch an Nichtmitglieder wie z. B. Migrantenselbstorganisationen, die im Bereich der politischen Bildung aktiv sind. Die unterschiedlichen Weiterbildungen wie z. B. zum Thema diskriminierungssensible Online-Formate oder Fördermittelakquise in der politischen Bildung, die in 2020 im Rahmen des Projekts angeboten wurden, stießen auf ein sehr hohes Interesse und enormen Zuspruch. Die Fortbildungen sprachen eine äußerst heterogene Gruppe von Teilnehmenden sowohl innerhalb als auch außerhalb des Verbands an. Damit wurde auch deutlich, dass die diversitätsorientierte und diskriminierungskritische Herangehensweise bzw. Veranstaltungsplanung des Projekts ein elementarer Baustein ist, um insbesondere Akteure und Bildner*innen mit Rassismuserfahrung in der politischen Bildung anzusprechen.

 

Teilnehmende an der Fortbildung "Politische Bildung erfolgreich finanzieren"
Teilnehmende an der Fortbildung "Politische Bildung erfolgreich finanzieren", Foto: AdB

Da das Projekt nicht nur zu Diversifizierungsstrategien innerhalb des Verbandes allgemein, sondern besonders auch in der politischen Erwachsenenbildung arbeitet, findet eine enge Zusammenarbeit mit der AdB-Fachkommission Erwachsenenbildung statt. Hier kam man schnell zu der Feststellung, dass Themen wie Diversität und Diskriminierungskritik, anders als in der Jugendbildung, eher wenig in Projekten der politischen Erwachsenenbildung präsent sind. So wurde in der Kommission selbst ein hoher Bedarf in der Auseinandersetzung mit Themen wie der deutschen Kolonialgeschichte, Antiromaismus, Rassismuskritik und postmigrantische Gesellschaft gesehen. Hier sollen im Rahmen des Projekts in den nächsten zwei Jahren entsprechende Themensetzungen stattfinden, um damit die fachliche Weiterentwicklung der politischen Erwachsenenbildung in Bezug auf Diversität vorantreiben zu können.

 

Um die Expertise von Minderheitsorganisationen innerhalb des AdB sichtbarer zu machen, fand u. a. auch eine Zusammenarbeit zwischen dem Projekt und der AdB-Kommission Geschlechterreflektierte Bildungsarbeit statt. Im Rahmen von Polyphon! wurde Isidora Randjelović, Mitinitiatorin des feministischen Romnja* Archivs RomaniPhen, zu einer Kommissionsitzung eingeladen. Sie gab einen Input zur Arbeit des Vereins und zum Thema Antiromaismus/Gadjé-Rassismus. Zentrale Themen und Angebote des Vereins sind der Bereich der außerschulischen historisch-politischen Bildung, rassismuskritische Fortbildungen für Fachkräfte und die Erarbeitung und Vermittlung von Bildungsmaterialien. Der Austausch und das Kennenlernen von Organisationen wie RomaniPhen wurde von allen Beteiligten als sehr bereichernd und perspektiverweiternd empfunden.

 

Gerade weil die COVID-19 Pandemie wie ein Katalysator für gesellschaftliche Ungleichheiten wirkt und rassistische Vorfälle und Anschläge wie in Hanau am 19. Februar 2020 zunehmen, bei dem neun junge Menschen ihr Leben verloren, scheint die Bedeutung der Projektthemen, bei denen es letztendlich um die Stärkung einer pluralen Demokratie geht, eher gesteigert.

 

Projektverantwortliche und Ansprechperson für Polyphon! Diversität in der politischen Bildung stärken ist Narmada Saraswati.

 

Das Projekt wird von der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb im Rahmen der Förderung von "Modellprojekten zur Modernisierung und zum Ausbau der Trägerstrukturen der politischen Erwachsenenbildung – Stärkung und Diversifizierung" gefördert.