“Demokratie
braucht
politische Bildung”

TECE – Transatlantic Exchange of Civic Educators

Pilotprojekt zur Stärkung der transatlantischen Dimension politischer Bildung
Europäische und internationale politische Bildung im AdB

Von April 2021 bis Juni 2022 konnten der Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e. V. in Kooperation mit dem Jonathan M. Tisch College of Civic Life an der Tufts University in Boston einen transatlantischen Austausch starten und die Zusammenarbeit von deutschen und US-amerikanischen Bildner*innen und Fachkräften aus der politischen Bildung und dem Bereich Civic Education/Engagement erfolgreich ausbauen.

Die TECE-Fellows Foto: TECE

Im Berichtsjahr 2022 wurde die zweite Hälfte des deutsch-amerikanischen Austauschprogramms realisiert. Wie im ersten Jahr hat die Corona-Pandemie den Projektverlauf auch im zweiten Jahr stark beeinflusst.

 

Da die zweite persönliche Begegnung in den USA nicht wie geplant im Januar 2022 durchgeführt werden konnte, wurde dieses Treffen auf Mai/Juni 2022 verschoben. Um die Kommunikation in der Gruppe über die Zeit aufrechtzuerhalten und die Zusammenarbeit in der Zwischenzeit zu vertiefen, traf sich die Gruppe im ersten Quartal 2022 zu vier Online-Workshops. Auf diese Weise konnte ein gangbarer Weg gefunden werden, den Prozess als Blended-Learning-Prozess auszugestalten. Obwohl die COVID-Bedingungen zusätzliche Hürden schufen, haben sie auch die Möglichkeit geboten, den Umfang der Zusammenarbeit zu erweitern und die Beziehungen zwischen den Teilnehmer*innen zu vertiefen.

Im ersten Workshop im Januar konzentrierten sich die Teilnehmer*innen auf die Erforschung der jeweiligen Terminologien, um Schwierigkeiten bei der Kommunikation über bestimmte Themen zu überwinden. Die Sitzung im Februar war als „Open Space“ für die Teilnehmer*innen reserviert, in dem sie eigene Ansätze und eigenes Fachwissen vorstellen, relevante Fragen diskutieren und an möglichen zukünftigen Projekten mitarbeiten konnten. Im März kam ein Referent der National Conference on Citizenship virtuell dazu, um als Vorbereitung und Hintergrundinformation für die US-Begegnung eine Studie über Civic Life in den USA vorzustellen. Im April schließlich konzentrierte sich die Online-Sitzung auf die Themen Identität und Vielfalt im Kontext der Bildungsarbeit in der Gruppe und generell als politische Bildner*innen, da diese Themen immer wieder zentral waren.

 

Die zwölftägige Begegnung in den USA – in Boston, Massachusetts und Washington DC – im Mai/Juni 2022 folgte einem ähnlichen Format wie die persönliche Begegnung in Deutschland im Jahr 2021. Das Programm umfasste Peer-Learning-Workshops, Besuche vor Ort, Expertendiskussionen sowie Reflexionsgruppen und spezielle Workshops, die sich auf die Entwicklung künftiger Kooperationen konzentrierten. In dem Bemühen, einzigartige, wichtige Merkmale des Civic Learning in den Vereinigten Staaten hervorzuheben, konzentrierten sich die Teilnehmer*innen vor allem auf vier Schlüsselbereiche: Erinnerungsarbeit und historisch-politische Bildung, Community Organizing und bürgerschaftliches Engagement, Youth Voice und Youth Empowerment sowie Polarisierung und Civic Dialogue. Die Fellows trafen sich mit insgesamt neun verschiedenen Organisationen, zusätzliche hatten die Arbeitsgruppen der Fellows Verantwortung für die Programmgestaltung. Das Programm baute bewusst auf Themenbereichen auf, die sich während der Begegnung in Deutschland als wichtig herauskristallisiert hatten, um auf diese Weise die Erfahrungen zu verbinden.

TECE at black history walk Boston Foto: TECE

Für die Durchführung des Projekts war es immens hilfreich, dass mit der Unterstützung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) aus den ERP-Mitteln eine Stelle für die Projektreferentin, Katja Greeson, finanziert werden konnte, die sich um die partnerschaftliche Durchführung des Projekts, die Kommunikation und die einzelnen Aktivitäten kümmerte und die TECE-Fellows intensiv betreute. Hiervon profitierte das Programm wie auch das ganze Projekt in großartiger Weise. Auch bildete dies eine wesentliche Voraussetzung für die Verstetigung des Netzwerkes und die erfolgreiche Ausgestaltung von gemeinsamen Projekten und Partnerschaften. Das Corona-bedingte Verschieben bedeutete zugleich eine Verlängerung der Laufzeit des Projekts, wodurch der AdB gefordert war, eine Stellenverlängerung der Projektreferentin aus Eigenmitteln zu finanzieren.

 

Durch das TECE-Fellowship-Programm konnte der AdB 24 Multiplikator*innen der politischen Jugendbildung in einen intensiven Austausch bringen, wobei der Schwerpunkt auf dem Aufbau von Diskursen und Partnerschaften lag. Für viele in der Gruppe war dies eine erste Erfahrung mit den USA bzw. Deutschland. Mehrere Kolleg*innen berichteten, dass sie aufgrund ihrer (neu gewonnenen) Erfahrung bereits von ihren Organisationen/Kolleg*innen gebeten wurden, US-amerikanische/deutsche politische Themen verstärkt zu diskutieren, was zu einem weiteren Engagement der Beteiligten für transatlantische Angelegenheiten führt. Die TECE-Fellows sind auch in Folge des Projekts weiterhin in einem regen Austausch und haben diverse Kooperationen und Projekte angestoßen.

 

Eng damit verknüpft und von der Projektreferentin maßgeblich unterstützt, realisierte der AdB am 19. Mai 2022 eine Online-Fachtagung mit dem Titel „Transatlantische Herausforderungen, unterschiedliche Herangehensweisen? Politische Bildung aus deutscher und amerikanischer Sicht“. Sie fand in Kooperation mit der Berliner Landeszentrale für politische Bildung statt und bezog sowohl als Referent*innen als auch als Teilnehmer*innen TECE-Fellows mit ein. Ein ausführlicher Bericht findet sich hier.

 

So geht das im Projekt entstandene Netzwerk also über die Gruppe der Fellows deutlich hinaus. Durch offene Online-Veranstaltungen konnten ca. 300 interessierte Personen erreicht werden, die regelmäßig mit Informationen aus dem laufenden Prozess versorgt wurden. Eine E-Mail-Liste ist auf 130 Abonnent*innen angewachsen, und im Rahmen des Austauschs in Deutschland und den USA konnte mit Personen aus 30 Organisationen als Gesprächspartner*innen, Gastgeber*innen für Organisationsbesuche vor Ort und als Moderator*innen von fachlichen Workshops intensiv zusammengearbeitet werden.

 

Mit der Publikation „Civic Learning with a Transatlantic Lens. A U.S. – German exploration of educating for democracy“ konnte eine Zusammenfassung des Diskurses über das US-amerikanische Modell des „Civic Learning“ und des „Civic Youth Work“ sowie über das deutsche Modell der „politischen Bildung“ auf der Grundlage von Teilnehmer*innen-Reflexionen und Expertenbeiträgen erarbeitet werden. In der Publikation haben die Projektverantwortlichen Katja Greeson und Georg Pirker mit dem Konzept des „Transatlantic Civic Youth Work“ eine Synthese der profilbildenden deutschen/europäischen und US-amerikanischen Fachdiskurse vorgelegt.

Publikation „Civic Learning with a Transatlantic Lens. A U.S. – German exploration of educating for democracy“ Foto: TECE

Die Erfahrungsberichte der Programmteilnehmer*innen sind in Form von Artikeln, Foto-Essays, Social-Media-Beiträgen vielfältig. Eine Auswahl der Beiträge findet sich auch auf der Programm-Website.

 

Besonderer Wert wurde daraufgelegt, dass die Teilnehmer*innen ihre Erfahrungen und neuen Erkenntnisse mit ihren Fachfeldern teilen (z. B. in Gremiensitzungen, Arbeitsgruppen, eigene Organisationen und Institutionen). Im AdB fanden beispielsweise die Rückbindung über die Fachkommission Europäische und Internationale Bildungsarbeit statt, oder über die eben genannte Fachtagung, bei der Befunde und Erkenntnisse aus dem Projekt ausführlich diskutiert wurden.

 

Was also hat TECE gebracht? – Ein kurzes Fazit

 

Ziel dieses Pilotprojektjahres war es herauszufinden, ob die Strukturen, der Diskurs und die Ansätze, die für die politische Bildung in Deutschland relevant sind, mit denen in den USA ausreichend kompatibel sind, um einen fruchtbaren Austausch zu ermöglichen. Außerdem wollte das Projektteam herausfinden, welche Themen und Formate für künftige Austauschprojekte produktiv sein könnten.

TECE at Massachusetts Institute of Technology (MIT), Boston Foto: TECE

Die Vielfalt der beruflichen Hintergründe der Teilnehmer*innen und ihrer derzeitigen Arbeitsweise (in Bezug auf Zielgruppe, Thema und Art der Organisation) spiegelte die große Vielfalt der Fachkräfte für außerschulische politische Bildung in beiden Ländern wider. Die Institutionen, die das politische Lernen in beiden Ländern unterstützen, sind sehr unterschiedlich, ebenso Finanzierungsstrukturen, Netzwerk- und Fortbildungsmöglichkeiten, methodische Ansätze usw. Diese Vielfalt war ein Gewinn für die Gruppe, wie ein Teilnehmer bemerkte:

 

 

„Als ich zum ersten Mal gelesen habe, wer mit mir in der Gruppe war, dachte ich, was passiert hier? Ich weiß nicht, wie ich mich darauf beziehen kann, aber jetzt denke ich, dass es eine wirklich gute Möglichkeit war, mehr von dem ganzen Bereich zu sehen, den es in den USA von der Seite der politischen Bildung gibt, wie er strukturiert ist und so weiter.“

 

 

Diese Unterschiede stellen zwar eine Herausforderung dar (z. B. bei der Suche nach einer gemeinsamen Fachsprache), bieten aber auch die Möglichkeit, ähnliche Herausforderungen aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten und auf neue Ideen zur Bearbeitung konkreter Fragen zu kommen. Die Teilnehmenden gelangten schnell an den Punkt, an dem sie unbekannte Konzepte durch das persönliche Betrachten von Beispielen und durch Gespräche mit Kolleg*innen so gut verstehen konnten, dass sie in der Lage waren, bohrende Fragen zu stellen und auf Bereiche hinzuweisen, die aus ihrer Außenperspektive möglicherweise überdacht oder geändert werden müssten. Oder, wie eine Teilnehmerin es ausdrückte:

 

„Ich habe ein gutes Gefühl, wenn ich mit mehr Fragen als Antworten nach Hause gehe.“

 

 

Es bestehen viele Herausforderungen für die deutsche und amerikanische Gesellschaft und für politische Bildung selbst. Diese sind globaler und transatlantischer Natur, z. B. wenn es um Polarisierung, Extremismus, soziale Medien und Digitalisierung, die COVID-19-Krise und Wissenschaftsskepsis, um soziale Ungleichheit, Rassismus und Antisemitismus usw. geht – und dies in einer Situation, die von globalen Herausforderungen wie der Frage nach generationeller Klimagerechtigkeit ebenso geprägt ist wie von einer Rückkehr zynischer Machtpolitik im internationalen System.

 

In der gemeinsamen Diskussion konnten die Fellows über diese Herausforderungen auf neue Weise nachdenken und in einigen Fällen praktische Lösungen finden. Polarisierung beispielsweise ist in den USA weit verbreitet und in Deutschland auf dem Vormarsch, was den Bereich der politischen Bildung selbst komplex und anfällig macht. Bei einem Besuch vor Ort stellte eine Organisation die Weimarer Erklärung vor, eine Reihe von Leitprinzipien für die politische Bildungsarbeit im Lichte der jüngsten Anschläge in Deutschland. Eine US-amerikanische Teilnehmerin bezeichnete dies als praktisch nützliche Strategie, um in ihrem polarisierten Kontext mit einem nationalen Netzwerk für politische Bildung umzugehen.

 

Das Format betreffend, sind wir mehr denn je von der Bedeutung des persönlichen Austauschs überzeugt. Obwohl die anfänglichen Online-Sitzungen nützlich waren, um den Rahmen abzustecken, gilt wie ein Teilnehmer anmerkte:

 

 

„Es gibt nichts, was den persönlichen Austausch ersetzen kann – die Online-Sitzungen hatten ihren Zweck, aber alle Ideen und Inspirationen kamen aus den persönlichen Sitzungen wegen der großartigen Gruppenumgebung und dem persönlichen Kontakt.“

 

 

Als Organisator*innen und Moderator*innen haben wir festgestellt, dass persönliche Formate im Vergleich zu Online-Sitzungen viel kreativer, gemeinschaftlicher, fruchtbarer sind um „lasting results“ anzuregen. Dennoch hat es auch Vorteile, digitale Online-Vor- und Zwischensitzungen zu veranstalten, um persönliche Treffen vorzubereiten und zu koordinieren, die Kommunikationskanäle aufrechtzuerhalten, und vor allem um ein über die jeweilige Veranstaltung hinausgehendes Lernen und Commitment zu erzeugen, sobald die Teilnehmer*innen von den Begegnungen nach Hause zurückgekehrt sind. Schließlich empfanden die meisten Teilnehmer*innen die internen Gruppenformate (Reflexionsgruppen, thematische Arbeitsgruppen und Großgruppensitzungen) als den dialogisch zielführenden Aspekt des Programms. Das langfristige Format des „Group Fellowship“ ist ein zusätzlicher Aspekt, der unserer Meinung nach zu einem stärkeren Engagement der Teilnehmer*innen für den Prozess geführt hat.

 

Der transatlantische Austausch kann politische Bildung in Deutschland und den Vereinigten Staaten unterstützen, indem er Fragen zu grundlegenden Überzeugungen über diese Arbeit aufwirft. Bei der abschließenden Reflexion und Bewertung des Programms stellten viele Teilnehmer*innen fest, dass sich ihre Vorstellung von politischer Bildung erweitert hat. Viele Amerikaner*innen hatten die internationale Jugendarbeit oder die Erinnerungsarbeit bisher nicht mit Civic Education in Verbindung gebracht. In ähnlicher Weise wurden die deutschen Teilnehmenden dazu angeregt, über die Überschneidungen von bürgerschaftlichem Engagement, politischem Handeln und politischer Bildung nachzudenken. Der Blick von außen auf die eigene Arbeit fordert die Teilnehmer*innen heraus, ihre Arbeit neu zu überdenken.

 

Wie erwartet unterscheiden sich die Finanzierungsstrukturen, Politik, Institutionen und die pädagogischen Ansätze für politische Bildung und Jugendarbeit in den USA und in Deutschland erheblich. Dies stellte die Teilnehmer*innen vor die Herausforderung, sich mit neuen Konzepten und Begriffen vertraut zu machen, die Arbeit des anderen zu verstehen oder sich mögliche Arbeitspartnerschaften vorzustellen. Jedoch ein wichtiges „Take-Away“ ist, dass eben Strukturen nicht übereinstimmen müssen, um einen produktiven Austausch zu ermöglichen. Mit dem bewussten Bemühen, Wege zur Kommunikation über Unterschiede hinweg zu finden, wurde deutlich, dass weitere Partnerschaften möglich sind. Um es konkreter zu machen: Da es in den Vereinigten Staaten keine öffentlich geförderten oder nicht-formalen Bildungszentren wie in Deutschland gibt, müssen andere Institutionen als potenzielle Partner in Betracht gezogen werden, wie z. B. Universitäten und lokale Community Organizations. Indem sie sich für diese Partnerschaftsmöglichkeiten öffnen, müssen sich die Organisationen auch darauf einlassen, dass es andere Definitionen und Verständnisse politischer Bildung gibt, andere Strukturen und Begrifflichkeiten. Wichtig ist aber, dass sie ihre Vorstellungen von politischer Bildung einbringen und zur Diskussion stellen.

 

Persönliche Austauschmodelle sind ein unschätzbares Format für persönliches Wachstum, den Aufbau von Verbindungen und tiefgreifendes Lernen. Die praktischen Herausforderungen, die mit dem transatlantischen Austausch verbunden sind, bedeuten, dass wir auch in die Beforschung anderer Formate investieren müssen. Die Akteure des internationalen Austauschs waren während der Pandemie besonders herausgefordert, mit anderen Modellen zu experimentieren, da die damit verbundenen Reisebeschränkungen und COVID-Sicherheitsmaßnahmen die persönlichen Gruppentreffen einschränkten. Angesichts der schwierigen praktischen Zwänge, die sich speziell auf den transatlantischen Austausch auswirkten (höhere Kosten, größere geografische Entfernungen, ungünstige Zeitzonen), wird der Austausch zwischen den USA und Deutschland auch in der Zeit nach der Pandemie auf innovative Methoden angewiesen sein, um zugänglich, realisierbar und nachhaltig zu sein. Dies kann nur erreicht werden, wenn Projektorganisator*innen die nötige Flexibilität eingeräumt wird, vielversprechende Methoden und Konzepte, neue Strukturen und Partnerschaften durch Modellprojekte aufzubauen.

 

Schlussendlich: Ohne Wissen, Neugier, Enthusiasmus und ohne großen persönlichen Einsatz geht es nicht. Insbesondere daher möchten wir Katja Greeson, die die Internationale Arbeit im AdB über einen Zeitraum von beinahe 4 Jahren unterstützt hat, zuerst im Rahmen eines Bundeskanzler Stipendiums der Alexander von Humboldt Stiftung, dann im Rahmen des TECE-Projektes, ganz herzlich danken.

 

TECE wurde aus Mitteln des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) verwalteten Regionalförderprogramms (ERP-Programm) unterstützt.