“Demokratie
braucht
politische Bildung”

Jugendbildung in Europa stärken: AdB-Empfehlungen zur zukünftigen EU-Programmgeneration im Bereich Jugend

14.05. 2018

Europa und insbesondere die Europäische Union stehen vor großen gesellschaftspolitischen Herausforderungen. Es mehren sich die Anzeichen einer deutlichen Abkehr größerer Bevölkerungsteile in den Mitgliedsstaaten vom Europäischen Projekt. Mit Europaskepsis wird Regierungshandeln legitimiert und auf breiter Basis offen Front gegen europäische Grundwerte gemacht. Die finanziellen Konsequenzen des Brexit führen zudem zu einer Debatte, die eine Engführung europäischer Programme im nächsten mehrjährigen Finanzrahmen befürchten lässt – wie bereits im Reflection paper on the Future of EU Finances vom Januar 2017 ersichtlich wurde.

 

Anders als bei den Verhandlungen zu den vorigen mehrjährigen europäischen Finanzrahmen und Programmgenerationen, stellen die bestehenden Fliehkräfte und die Unfähigkeit zentraler europäischer und nationalstaatlicher Akteure zu einer anderen als rein wirtschaftspolitischen Narration der EU eine Negativkulisse dar, vor der es gilt, mutige und durchdachte Politik zu realisieren: Wachsende gesellschaftspolitische Herausforderungen erfordern ein wachsendes finanzielles Engagement! Der AdB setzt sich für ein wesentlich stärkeres finanzielles Engagement der EU für Bildung und Kultur, Jugend und Bürgerschaft, als dies bislang der Fall ist, ein.

 

Die europäische Kommission hat erkannt, dass den Anliegen von Bildung, Bürgerschaft und Demokratie in einer digitalisierten und globalisierten Gesellschaft eine Schlüsselfunktion zukommt (vgl. http://europa.eu/rapid/press-release_IP-18-102_en.htm, Verabschiedung der Council Recommendation on Key Competences for Lifelong Learning, des Digital Education Action Plan und der Council Recommendation on promoting common values, inclusive education, and the European dimension of teaching, alle vom 17. Januar 2018). Mit der Verhandlung zum neuen mehrjährigen Finanzrahmen und der Weichenstellung für die Nachfolgegeneration des EU-Programms Erasmus+ und anderer für den Bereich der politischen Bildung wichtiger europäischer Förderinstrumente (im Bereich der Grundrechte und Bürgerschaft sowie der Weiterentwicklung der europäischen Jugendstrategie) bieten sich vielfache Gelegenheiten, Weichenstellungen für ein demokratischeres, solidarischeres, an Menschenrechten und Vielfalt orientiertes Europa vorzunehmen und für eine konkrete und realisierbare Ausgestaltung durch Jugend- wie auch Erwachsenenbildung zu sorgen.

Ein integriertes Nachfolgeprogramm mit einem eigenständigen Kapitel Jugend

Aufgrund der Erfahrungen im bisherigen Programm Erasmus + machen wir uns stark für ein integriertes Nachfolgeprogramm mit eigenständigem Jugendkapitel, das Jugend ernst nimmt, indem

  • es zur politischen Bildung im Sinne von Global Citizenship Education, Education for Democratic Citizenship und Human Rights Education beiträgt, jungen Menschen die Möglichkeiten zu demokratischen Teilhabe eröffnet und sie unterstützt, an der Ausgestaltung gesellschaftspolitischer Schlüsselfragen mitzuwirken und durch politische Bildung und Menschenrechtsbildung die europäische Grundrechte erlebbar macht;
  • es die weiterentwickelte europäische Jugendstrategie unterfüttert und soziale Inklusion/gesellschaftspolitische Teilhabe für Jugendliche gestaltbar und erfahrbar macht;
  • es das Instrument des europäischen Solidaritätskorps als Instrument der europäischen Jugendpolitik sinnvoll in die europäische Jugendstrategie integriert.

Programmziele

Das Programm muss angesichts der Erosion demokratischer Grundorientierungen verstärkt Verantwortung dafür übernehmen, einen konkreten inhaltlichen Beitrag zu gelebter aktiver europäischer Bürgerschaft, zu Education for Democratic Citizenship and Human Rights Education und Global Citizenship Education zu leisten. Es muss klar ausgerichtet sein an den Europäischen Grundrechten und an der Umsetzung der Kinderrechtskonvention. Das Programm muss einen aktiven Beitrag zur Partizipation junger Menschen leisten, deren Durchsetzung und Ausgestaltung ermöglichen und sie konkret erfahrbar machen.

 

Dabei sollten die Aktivitäten im Rahmen der COE-EU Youth Partnership sichtbarer Teil und inhaltlicher Orientierungsrahmen des Programms werden.

 

Gemäß dem Subsidiaritätsprinzip muss europäisches Engagement im Jugend- und Bildungsbereich verstärkt auch seiner systemischen Verantwortung gerecht werden, indem es Kapazitätsaufbau (Strukturen, Personal, Ausbildung …) aktiv unterstützt und zwar dort, wo es auf den nationalen Ebenen bislang nicht geleistet wurde oder sinnvoll ergänzt werden kann, bspw. beim Aufbau von Strukturen von Youth Work in Europa (vgl. https://search.coe.int/cm/Pages/result_details.aspx?ObjectID=09000016807...).

 

Ausgestaltung des Programms

Das Programm sollte die bisherigen guten Erfahrungen aufgreifen und Wirkung auf drei Ebenen erzielen:

  • Es soll jungen Menschen und Fachkräften der Jugendarbeit individuelle Lernerfahrung und gesellschaftliches Engagement ermöglichen.
  • Es soll zur Strukturentwicklung von Jugendarbeit in Europa beitragen und Jugendorganisationen sowie Einrichtungen und Träger der Jugendarbeit bei der Weiterentwicklung und Ausgestaltung im europäischen Kontext unterstützen.
  • Es soll europäische Jugendpolitik vertiefen, indem es den fachlichen und politischen Diskurs um Systeme, Inhalte und Instrumente unterstützt.

Die in Erasmus+ praktizierte Aufteilung in die bisherigen Key-Activities 1, 2 und 3 hat sich für den Jugendbereich als gutes, operationales und wirkungsvolles Modell etabliert, v. a. im Bereich der individuellen Mobilitäten (Key-Activity 1), deren Fortführung wir als unbedingt notwendig und ausbaufähig erachten. Die EU bekennt sich zu den Sustainable Development Goals und sollte mit einer neuen Programmgeneration gerade dem Anliegen von Global Citizenship Education Rechnung tragen. Dies sollte sich im Bereich der Key-Activity 1 "Individuelle Mobilitäten" in einer Komponente globaler Mobilität wiederfinden.

 

Im Bereich der Key-Activity 2 und 3, die stärker das Ziel eines systemischen Impacts verfolgen, bestehen gewisse Diskrepanzen zwischen Intention und gestaltbarer Realität, die in einer neuen Programmgeneration auf mehreren Ebenen besser ermöglicht werden könnten:

  • Es sollte eine bessere finanzielle Ausgestaltung der Personalkostenaufwendungen erreicht werden.
  • Systemischer Impact erfordert das Vorhandensein von umsetzungs- und gestaltungsfähigen jugendpolitischen Strukturen. Eine bessere Berücksichtigung der oftmals nicht kohärenten nationalen Jugendpolitiken und unzureichend ausgestalteten Strukturen könnte durch die Etablierung von einerseits local impact schemes in den Programmen wie auch durch die Fokussierung auf Erfahrungsaustausch (niedrigschwellige Key-Aktivity 2 ohne intellectual outputs) erfolgen.

 

Weiterhin empfehlen wir für den strategischen Aufbau von Strukturen und Akteuren der Jugendarbeit im Jugendbereich ein Instrument adäquat zu einer Jean-Monnet Programmlinie "Youth and Citizenship" einzuführen, das den systematischen europäischen Kapazitätsaufbau im Jugendbereich national/lokal auch personell unterfüttert und bewerkstelligen hilft.

 

Ebenfalls sollte angedacht werden, das bestehende Programm Europe for Citizens stärker mit Erasmus+ zu verbinden (bspw. als transversale Programmlinie), wobei auch hier ein deutlicher Mittelaufwuchs erforderlich ist.

Budget/Finanzen

Wir unterstützen die Kampagne 10xErasmus+. Der AdB fordert eine eigene und finanziell sehr gut ausgestattete Budgetlinie für Jugend, die der Tatsache, dass im Bereich Erasmus+ Jugend anteilig die meisten Mobilitäten realisiert wurden und die meisten Projekte laufen, auch in der Gesamtzusammenschau eines neuen Programms sichtbar Rechnung tragen muss. Ein Nachfolgeprogramm muss die Realität und Erfahrung des bisherigen Erasmus+ Programms berücksichtigen: aktuell 40 % Anträge bei 10 % Mittel im Gesamtbudget können nur zur Folge haben, den Programmbereich Jugend überproportional auszustatten.

 

In einem neuen Programm muss bürgerschaftliches Engagement im Europäischen Solidaritätskorps sinnvoll in den Jugendbereich (wie eigentlich auch in den Erwachsenenbildungsbereich) eingegliedert werden. Dies gelingt nur über einen Mittelaufwuchs und darf nicht zu Lasten eines ohnehin knapp ausgestatteten und unterfinanzierten Programmes Jugend gehen.

 

Administration

Das Programm sollte an die positiven Erfahrungen der dezentralen Verwaltung über die Nationalagenturen anknüpfen. Sie erlaubt ein bedarfsorientierteres und an realen Herausforderungen orientiertes Aufgreifen und Steuern von Aktivitäten, so die Nationalagenturen entsprechend ausgestattet sind. Dennoch sehen wir es als erforderlich an, im neuen Programm den Interaktionsraum zwischen zivilgesellschaftlichen Organisationen und der DG EAC zu vergrößern, dies aus drei Gründen:

  1. Im aktuellen Programm Erasmus+ manifestiert sich der Wegfall an Formaten des partnerschaftlichen Dialogs deutlich in einer wechselseitigen Entfremdung der Akteure, Inhalte und Diskurse zwischen "grass-roots" Aktivitäten und Europäischer Ebene in Brüssel.
  2. Die aktuelle dezentrale Programmverwaltung führt dazu, dass einige Länder politische Hürden errichten, die die Bearbeitung bestimmter gesellschaftspolitischer Themen und Fragen unmöglich machen und zu einem strategischen Ausweichen der Träger auf andere Programmländer führen.
  3. Aktuell stehen europäische Netzwerke und Plattformen mit Sitz in Belgien in Konkurrenz zu belgischen Antragstellern. Daher wäre eine eigene Leitaktion, die die Belange und den Mehrwert dieser europäischen Organisationen aufgreift auch im Sinne der besseren Ausgestaltung der partnerschaftlichen Zusammen-arbeit mit der DG EAC wünschenswert.

 

Organisationskosten und Personalkosten freier Träger müssen deren tatsächliche Arbeit angemessen widerspiegeln, daher sollten sie in allen Key-Aktivities, besonders aber in der Key-Activity 2, besser abgebildet sein. Wir begrüßen die niedrigen Hürden und vereinfachte Administration der Erasmus+ Projekte über das Participants Portal und das Erasmus+ mobility tool. Wünschenswert wäre, wenn sich dies in allen Leitaktionen gleichermaßen abbilden würde und v. a. die Regeln innerhalb der verschiedenen Key-Aktivities gleich ausgestaltet würden.

Monitoring und Nachverfolgung

Europäischer Mehrwert besteht nicht nur auf der Ebene der geförderten Projekte, sondern muss auch auf der Ebene des Programms als solchem eingefordert werden. Die Situation von zivilgesellschaftlichen Organisationen hat sich in der laufenden Programmperiode in mehreren Programmländern verschlechtert. Damit einher geht eine schleichende Verengung des Zugangs zu Erasmus+. Wir fordern angesichts der aktuellen Entwicklungen ein wesentlich konsequenteres Monitoring der Nationalagenturen durch die Europäische Kommission mit dem Ziel, die souveräne Arbeit der Nationalagenturen zu stärken, u. a. bei der Verwirklichung der europäischen Grundrechte in den einzelnen Mitgliedsstaaten in programmtechnischer wie auch in inhaltlicher Hinsicht.

Über den AdB

Der Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten ist ein Zusammenschluss von Trägern politischer Jugend- und Erwachsenenbildung mit unterschiedlichen Profilen. Sie widmen sich schwerpunktmäßig der politischen Bildung, Jugendbildung, Weiterbildung sowie der internationalen und interkulturellen Bildung. Der Arbeitskreis will die außerschulische Bildung, insbesondere die politische Bildung als Element der Allgemeinbildung, fördern.

 

Der AdB führt die Geschäftsstelle der europäischen NGO DARE – Democracy and Human Rights Education in Europe, ist Mitglied der EAEA und koordiniert verschiedenste europäische Projekte in der Jugend- und Erwachsenenbildung.
Der AdB ist konfessionell und parteipolitisch nicht gebunden. Er bietet ein Forum für fachlichen Erfahrungsaustausch, Fortbildung und gemeinsame bildungspolitische Interessenvertretung. Als wesentlicher Bestandteil der Infrastruktur der Jugendhilfe auf Bundesebene wird der Verband vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert.

 

Rückfragen und Anregungen:
Georg Pirker
Referent für internationale Bildungsarbeit im AdB
Email: pirker@adb.de
Telefon: +49 (0)30 400401-17