“Demokratie
braucht
politische Bildung”

Demokratie und Demokratiegefährdung in Europa (Weimar)

28.11. 2012

Beschluss der Mitgliederversammlung des Arbeitskreises deutscher Bildungsstätten

 

Der 2009 in Kraft getretene Vertrag von Lissabon soll ein demokratisches und transparentes Europa schaffen, in dem das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente mehr Einflussmöglichkeiten haben, und in dem die Bürgerinnen und Bürger sich mehr Gehör verschaffen können.

 

Dieses Vertragswerk trug dazu bei, dass auf europäischer Ebene die parlamentarische Demokratie und damit das Europaparlament durch Kompetenzerweiterung formal gestärkt werden konnten. Gleichzeitig vollzieht sich der Abbau von Demokratie und Bürgerrechten in einzelnen Mitgliedsstaaten.

 

Die Vorgabe im Lissabon-Vertrag, dass eine Million Bürger/-innen aus verschiedenen Mitgliedsstaaten mit einer „Bürgerinitiative“ der Europäischen Kommission politische Vorschläge unterbreiten kann, bleibt weit hinter den Erwartungen an eine lebendige Demokratie in Europa zurück: Dies spiegelt das Misstrauen der EU-Institutionen gegenüber zivilgesellschaftlicher Mitwirkung wider und macht auf einen dringend abzustellenden Mangel an Partizipation auf europäischer Ebene aufmerksam.

 

Demokratie entwickelt und festigt sich, wenn sie als zukunftssichernde Staats- und Lebensform für alle Menschen erfahrbar ist. Die Finanz- und Schuldenkrise führt zu sozialen Erosionsprozessen und verhindert diese Erfahrung. Rechtspopulistische Bewegungen in ganz Europa stellen Minderheitenrechte infrage. Vielfach wird die Pressefreiheit massiv eingeschränkt, das Wahlrecht zum Nachteil kleinerer Parteien und der Opposition einschneidend verändert oder durch Korruption, Klientelpolitik und egoistische Engstirnigkeit die verfasste Demokratie ad absurdum geführt.

 

Bemerkenswert ist, dass in Deutschland bereits mehrfach das Bundesverfassungsgericht angerufen wurde, um wegen der Einrichtung von „Rettungsschirmen“ und „Stabilitätsfonds“ die verfassungsmäßige Beteiligung des Deutschen Bundestages am Zustandekommen dieser Verträge zu prüfen und so die nötige Rechtssicherheit herzustellen.

 

Jürgen Habermas kritisiert zu Recht, dass „in noch nicht dagewesener Weise gewählte Regierungen so umstandslos durch Vertrauenspersonen der Märkte ersetzt worden sind“, wie es aufgrund der Euro-Krise in Italien und Griechenland geschah: Eingesetzte Expertengremien greifen in die Hoheitsrechte demokratisch gewählter Regierungen ein und entscheiden über das Wohl und Leid von Volkswirtschaften und Gesellschaften.

 

Der AdB als bundesweiter Fachverband der politischen Bildung sieht diese Entwicklungen mit Sorge, denn sie engen die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern weiter ein und tragen nicht zur Umsetzung der Ziele des Lissabon-Vertrages zur Schaffung eines demokratischen Europas bei.

 

Der Aufbau eines demokratischen Europas gelingt nur, wenn die Mitgliedsstaaten der EU ebenfalls demokratisch konstituiert sind, demokratisch handeln, Menschenrechte und Menschenwürde achten sowie Bürgerinnen und Bürger an der politischen Willensbildung in ihrem Land und in Europa beteiligen. Politik ist für Bürgerinnen und Bürger das einzige Mittel, um über gemeinschaftliches Handeln auf das Gemeinwesen einzuwirken.

 

Die politische Bildung wird sich daran beteiligen, sinkende Wahlbeteiligungen, rückläufiges Engagement in Parteien und zivilgesellschaftlichen Organisationen, politische Entfremdung, Apathie, Unzufriedenheit und Misstrauen der Bürgerinnen und Bürger zu thematisieren, zur Mitwirkung zu befähigen und daraus entstehende Forderungen nach stärkerer Partizipation an die nationale und europäische Politik zu adressieren.

 

Die zunehmende Bedeutung der europäischen Ebene bedarf in der politischen Bildung ebenfalls einer stärkeren Beachtung. Obwohl keine internationale Organisation demokratischer ist als die Europäische Union, muss das Bewusstsein für die EU als politische Gemeinschaft gestärkt werden, um die Transnationalisierung als demokratisches Projekt zu gestalten. Die EU ist nicht nur die Summe ihrer Mitgliedsstaaten, sondern auch die ihrer Bürgerinnen und Bürger. Politische Bildung ist an dem Prozess beteiligt, daraus politische Forderungen zur Stärkung einer lebendigen Demokratie in Europa abzuleiten, wie z. B. ein verändertes Wahlrecht, Elemente der direkten Demokratie oder die Stärkung der Rechte des Europäischen Parlaments.