“Demokratie
braucht
politische Bildung”

Das künftige EU Programm "Education Europe". Kommentierung des Arbeitskreises deutscher Bildungsstätten (AdB) zum Vorschlag der EU Kommission (Berlin)

19.07. 2011

Die Europäische Kommission hat am 29. JUNI 2011 ihren Vorschlag für einen neuen mehrjährigen Finanzrahmen „A budget for Europe 2020“* für die Jahre 2014-2020 vorgestellt. Neben einer neuen Basis für die künftige Finanzierung der EU ab 2018 schlägt die EU Kommission eine neue Generation von Programmen vor. Darunter ist unter der Rubrik „Intelligentes und Kreatives Wachstum“ der Vorschlag für ein neu ausgerichtetes Bildungs- und Kulturprogramm „Education Europe“ das neben den bisherigen Programmen Erasmus, Comenius, Grundtvig und Leonardo auch die bisher eigenständigen Programme Jugend in Aktion und Erasmus Mundus umfassen soll.**

 

Im Vorfeld des Vorschlags der Europäischen Kommission haben das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend BMFSFJ wie auch verschiedene weitere Akteure in eigenen Stellungnahmen auf die Wichtigkeit eines eigenständigen europäischen Jugendprogramms verwiesen und für die Beibehaltung von Youth in Action plädiert. Der AdB schließt sich nach wie vor dieser Einschätzung an und möchte vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung im Folgenden einen Beitrag zur Diskussion leisten.

 

Positiv am vorgelegten Vorschlag ist, dass das für Kultur und Bildung zur Verfügung stehende Budget mit 15.2 Milliarden € im Vergleich zu den laufenden Programmen (9.1. Mrd €) um nahezu 68% angehoben werden soll, was eine enormen Steigerung in der Mittelausstattung und viel positiven Gestaltungsspielraum bedeutet. Den Dokumenten zufolge soll diese Mehrausstattung v.a. genutzt werden, um die transnationale Lernmobilität Mobilität junger Menschen insbesondere beim Berufseinstieg (bisher Leonardo) sowie junger Studierender (Erasmus) voranzutreiben. Von einem integrierten Programm erhofft sich die EU Kommission zudem inhaltliche Synergien und v.a. Fortschritte beim Aufbrechen der Versäulung von Lernwegen. Daher sollen nach wie vor alle Lernformen – formal, non-formal und informell – unterstützt werden.

Der Vorschlag macht leider keine genaue Aussage zur Mittelausstattung der verschiedenen Bildungsbereiche und zum genauen Zuschnitt des geplanten Programms. Der Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten als Verband der außerschulischen politischen Jugend- und Erwachsenenbildung fordert daher die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und auch den Ministerrat auf, ein austariertes Gesamtprogramm zu gestalten, das die Erfordernisse von beruflicher Bildung, Erwachsenenbildung, Hochschulbildung und Jugend gleichermaßen berücksichtigt, das einen Europäischen Rahmen für lebenslanges Lernen schafft und die Möglichkeiten und Stärken aller Bildungsformen (non-formaler, formaler, informeller) wertschätzt und befördert.

 

Insbesondere die Integration des bisher eigenständigen Jugendprogramms in ein Gesamtprogramm „Education in Europe“ betrachten wir mit Sorge. Der Abschied von einem eigenständigen Jugendprogramm bedeutet einen Paradigmenwechsel in der Europäischen Jugendpolitik. In den vergangenen 20 Jahren wurde die transnationale Zusammenarbeit intensiviert, 2009 wurden mit der Verabschiedung der europäischen Jugendstrategie 2010-2018 erstmals transnationale Aktivitätsfelder der Jugendpolitik für eine Zusammenarbeit auf EU Ebene benannt und somit ein verbindlicher Rahmen für gemeinschaftliche Kooperation im Bereich der Jugendpolitik abgesteckt. Das ist ein Erfolg, der nicht gefährdet werden darf.

Die Stärke des bisherigen Programms Jugend in Aktion liegt aus Sicht der politischen Bildung eindeutig in der breiten thematischen wie organisatorischen Ausdifferenzierung und v.a. in der durchgängigen Priorisierung non-formaler Lernerfahrungen sowie des Prinzips der Freiwilligkeit. Zentrale Anliegen politischer Bildung und politische Partizipation wurden als wesentliche Themen non-formaler Bildung erkannt und über das Programm gefördert. Bei einer Integration des Jugendprogramms in den Bereich der formalen Bildung unter das Primat der beruflichen Verwertbarkeit droht gerade dieser Aspekt, aufgegeben zu werden. Jugend in Aktion leistet einen wichtigen Beitrag für die Stärkung des sozialen Zusammenhalts, für die Stärkung junger Menschen in Europa und auch für deren Beschäftigungsfähigkeit. Die elementare und umfassende Lernerfahrung fördert maßgeblich persönliche Kompetenzen, die von entscheidender Bedeutung auch für die funktionierende Zivilgesellschaft sind. Gerade dem Jugendbereich kommt somit auch eine Schlüsselfunktion bei der Erreichung eines nachhaltigen und inklusiven Wachstums zu, wie es die EU 2020 Strategie fordert. Die hohe Wirksamkeit von Jugend in Aktion und der Vorgängerprogramme wurde in mehreren Evaluationsverfahren eindrücklich nachgewiesen. Dies sollte im Rahmen des neuen Programms erhalten werden und als Rollenmodell für andere Bildungsbereiche dienen. Der AdB fordert für das künftige Programm „Education Europe“ daher speziell im Jugendbereich einen genuinen Fokus auf non-formale Lernerfahrung junger Menschen zu erhalten.

 

In Deutschland ist die Situation zudem aufgrund des Föderalismus kompliziert: europäische Jugendpolitik und die nationale Umsetzung der EU Jugendstrategie mit Jugend als eigenständigem Politikfeld drohen in einem integrierten Bildungsprogramm von der Bundesebene zu verschwinden.

Mit einem integrierten Bildungsprogramm besteht nicht nur in Deutschland die Gefahr, dass die Mitwirkungsmöglichkeiten der nationalen Jugendministerien an Jugendbelangen eingeschränkt oder sogar ausgesetzt würden, da sich die Zuständigkeit für ein integriertes Bildungsprogramm auf andere politische Entscheidungsträger verlagern würde.

Der AdB setzt sich seit Jahren in partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Bundesjugendministerium für eine eigenständige Jugendpolitik ein, die nicht unter einem rein berufsbiografischen Verwertungsanspruch steht, sondern Jugend als eigenständigen Lebensabschnitt wertschätzt und fördert. Das Bundesjugendministerium sollte als der deutsche Ansprechpartner für europäische Jugendbelange in einem künftigen Programm Jugend unbedingt erhalten bleiben.

Auch stellt sich die Frage, ob es weiterhin zu einer Koordinierung der jugendpolitischen Aktivitäten der EU Mitglieder im Rahmen eines ressortübergreifenden Ansatzes kommen kann, was für die Umsetzung der erst 2009 verabschiedeten EU Jugendstrategie zwingend notwendig erscheint. Das Programm Jugend in Aktion hat eine entscheidende Rolle gespielt für die Entwicklung von Jugendpolitik in den Mitgliedsstaaten der EU und ist selbst ein Beispiel für erfolgreiche transnationale Kooperation innerhalb Europas.
Der AdB fordert daher die verantwortlichen Akteure auf, bei der konkreten Ausgestaltung des Programms „Education Europe“ bestehende Beschlussfassungen des EU Ministerrats, der Kommission und des Parlaments, die in ihren Zielen deutlich über die EU 2020 Strategie hinausgehen, zu berücksichtigen. Dazu gehören die Education and Training Strategie 2020, aber auch die europäische Jugendstrategie 2010-2018.

 

Der AdB macht sich weiterhin dafür stark, dass das vorgeschlagene integrierte Bildungsprogramm die Empfehlung des EU Ministerrats vom 22. Oktober 2010 (No15276/10) berücksichtigt: “While their scope extends beyond that of the Youth on the Move initiative, existing EU programmes such as the Lifelong Learning, Erasmus Mundus and Youth in Action programmes clearly have an important contribution to make towards achieving the aims of this initiative, as well as those of the Europe 2020 Strategy in general. Both the broad scope of the programmes and their contribution to the initiative should be acknowledged when designing the next generation of programmes."

Aus dem spezifischen Blickwinkel eines Fachverbandes der politischen Bildung begrüßen wir am Kommissionvorschlag, dass er mehr Raum für thematische und inhaltliche Synergien bietet. Themenstellungen und Aufgaben, die quer zu den existierenden Programmen liegen, wie beispielsweise die Politikfelder Active Citizenship und Social Inclusion, sollten programmübergreifend behandelbar sein, so dass spill- over Effekte erzielt werden können und gute Praxis besser transferiert werden kann. Dies gilt aus Sicht des AdB insbesondere für die gegenwärtigen Programme LLPGRUNDTVIG und JUGEND IN AKTION.

Bildung ist immer auch zivilgesellschaftliche Bildung. Als solche ist sie eine Grundvoraussetzung für inklusives und nachhaltiges Wachstum wie es die EU 2020 Strategie fordert. Das Bildungsprogramm Education Europe sollte dieser zivilgesellschaftlichen Herausforderung in seiner konkreten Ausgestaltung deutlich Rechnung tragen.

Es sind letztendlich die positiven Erfahrungen der jungen Menschen, von denen das künftige Gelingen und die Akzeptanz von Europa schon heute entscheidend abhängen. Angesichts des nach wie vor strukturellen demokratischen Defizits, das die Europäische Union kennzeichnet, wäre sie gut beraten, den mühsam erworbenen Kredit bei der jungen Generation nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen, sondern in ihn weiter und sichtbar zu investieren.

 

Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten, Juli 2011
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* A Budget for Europe 2020 – Communication from the Commission to the European Parliament, the Council, the European Economic and Social Committee and the Committee of the Regions, Brussels, 29.6.201, COM(2011)500 final PART 1+2.
** Der Vorschlag der EU Kommission bezieht sich auf die Roadmap vom Juli 2010und dockt gleichzeitig an den Entwurf des SURE Kommittees des EP an. . Vor dem Hintergrund der vorgestellten Entwicklungsoptionen, erscheint die Schaffung eines integrierten Bildungsprogramms logisch und folgerichtig, zumal sie einen umfassenden Rahmen für Lebenslanges Lernen bilden und somit den Beschluss von 2001 zur Schaffung eines gemeinsamen Raums für Lebenslanges Lernen vorantreiben würde. Allen Vorschlägen gemeinsam war die Tendenz, bisher eigenständige Programme unter Dächern zusammenzufassen, um Synergien und Verwaltungsvereinfachungen zu erzielen. Ein Nachweis, dass hierdurch tatsächlich die erhofften Synergien erzielt werden können, steht jedoch aus.