Critical Youth Work – Internationale (non)Konferenz des AdB in Weimar

Vom 12. bis 17. Mai 2024 kamen in der Europäischen Jugendbildungs- und Jugendbegegnungsstätte in Weimar (EJBW) über 90 Jugendarbeiter*innen, Jugendforscher*innen, Bildner*innen und Aktivist*innen aus der ganzen Welt zusammen. Ziel der (non)Konferenz: Politische Bildung unter die Lupe nehmen und Fundierungen, Ansätze und Methoden der Demokratie- und Menschenrechtsbildung praktisch-experimentell zu überdenken und neu entwerfen.

Die demokratische Zivilgesellschaft steht weltweit immer stärker unter Druck: Die Einschränkung von Presse- und Versammlungsfreiheit nimmt überall zu – auch in Europa. Rechtliche, finanzielle und wirtschaftliche Hürden erschweren die Arbeit zivilgesellschaftlicher Akteure in vielen Ländern zunehmend. Demokratische, menschenrechtliche und insbesondere vulnerable Akteure werden angegriffen und ihre gesellschaftlichen Mitwirkungs- und Gestaltungsräume durch rechtsnationale politische Gruppierungen angefeindet und eingeschränkt – beispielsweise im Kontext von LGBTQI+, von Minderheiten, im Kontext von Migration, aber auch am Beispiel restriktiver Abtreibungspolitiken. Dabei sind es nicht nur die im Kontext der autoritären Wenden feststellbaren Prozesse der Beschränkung von Freiheiten ganz unterschiedlicher – vielfach vulnerabler – Gruppen, die den Arbeitsfeldern der Jugendarbeit weltweit zu schaffen machen, sondern auch der Kontext vor dem dies stattfindet: Tiefgreifende soziale, wirtschaftliche und ökologische Transformationen aber auch die aktuellen Kriege stellen sicher geglaubte Bestände demokratischer Gemeinwesen fundamental infrage.

Die Entwicklungen zeigen, dass die Demokratie – wie sie aktuell ist – konzeptionell herausgefordert wird. Einhergehend damit sind weltweit auch Akteure in Bildung und Jugendarbeit herausgefordert, über ihre konzeptionellen Fundierungen nachzudenken, diese zu kritisch befragen und weiterzuentwickeln.

Mit dem Format der (non-)Konferenz haben wir einen Weg beschritten, mit dem wir als Profession politischer Bildung offen darstellen, dass wir aus uns selbst nicht in der Lage sind, adäquate Antworten zu formulieren und auf Expertise, Interdisziplinarität und Austausch mit einem weiten Akteursfeld angewiesen sind. Der Titel „Critical Youth Work“ war dabei Programm: zum einen als offenes Befragen und Hinterfragen der eigenen Professionen, professionellen Ansätze, Zugänge und Strukturen. Zum anderen der Überlegung folgend, dass es mit dem Begriff Youth Work einen Ansatz gibt, dem die unterschiedlichsten Arbeitsfelder weltweit prinzipiell offen gegenüber sind und der daher auch in die Lage versetzen könnte, einen hinreichenden Rahmen für einen offenen Orientierungsprozess zu liefern. Critical – da sich angesichts der massiven Veränderungsprozesse bislang wenig hinreichende Ansätze weder der Erklärung noch einer stringenten Bearbeitung finden. Wir doktern an vielen Symptomen herum, haben aber wenig aussagekräftige Befunde, diese neue Normalität – wie sie in der European Youth Work Agenda begrifflich beschrieben ist – zu fassen.

Wir haben alle etwas zu sagen

Unabhängig von der Profession, ob Forscher*in, Praktiker*in, Aktivist*in, Jugendarbeiter*in: Die Erfahrungen und Fragen der Mitwirkenden sind alle wichtig. In über 50 Workshops, Inputs, Lectures, Praktiken, Experimenten, Film-screenings, Diskussionsrunden, haben alle inhaltlich substantiell mitgewirkt und ihren Beitrag geleistet. Sie haben dabei eine große Offenheit zu Format und Vertiefung gezeigt. Home Groups – kleine Nachdenkgruppen – boten täglich die Möglichkeit, sich immer wieder zu Erfahrungen und daraus entstehenden Fragen auszutauschen.

Notwendigkeiten der Safe Spaces anerkennen

Um mit den bestehenden Fragen und Frustrationen umzugehen, bot die (non-)Konferenz einen wichtigen Raum und vor allem genug Zeit. Beides wurde von den Mitwirkenden als sehr wichtig anerkannt – die Möglichkeit aus den eigenen Kontexten herauszutreten und in einen offenen Austausch mit anderen zu treten. Aber auch sich voll auf das Unvorhergesehene einzulassen. Workshops zu Dancing Politics mit Aktion Tanz e. V., Ansätze von Theater und Film, audiovisuelle Experimente wie im Ansatz des immersive audio-unlearnings zum Konzept der Radical Education oder das Experimentieren mit der Idee der Trickshots on youth work brachten reichlich Gelegenheit zur Dekonstruktion, den „Sound“ oder „die Bewegung“ der Veränderungsprozesse körperlich und in der Gestaltung zu spüren, und so die Ebenen des rein kognitiven Bearbeiten und Diskutieren zu verlassen – non-formales Lernen in all seiner Komplexität. 

Die (non )Konferenz selbst war in diesem Sinn zugleich Raum der Reflexion wie auch der Dekonstruktion und des Werdens. Und sie bot einen sicheren Raum, den – und das hatten wir in der Tragweite seitens der Organisator*innen der AdB Fachkommission Europäische und Internationale Bildungsarbeit so gar nicht auf dem Schirm – die Teilnehmenden dringend benötigten: Es macht eben einen fundamentalen Unterschied, ob man für Jugendpartizipationsarbeit und politische Bildung wertgeschätzt, angegriffen, ins Gefängnis gesteckt oder in seinem Leben bedroht wird – so sieht die Lage in unseren Gesellschaften weltweit zugleich aus. Und dennoch, „so why is the space shrinking? Working with youth we have to work with any party, regardless we like them or not“ – so ein Resumé aus den USA. In diesem Sinne war Critical Youth Work auch eine klare Aufforderung an die Fachöffentlichkeit, Bestände zu hinterfragen, die Häfen zu verlassen und sich auf See zu bewegen, um überhaupt erst einen Blick auf die eigene Situation zu bekommen. Der internationale Kontext und die extreme Diversität der Erfahrungsschätze der Mitwirkenden sind Voraussetzung für Bewegung. In einem rein europäischen, erst recht nicht in einem rein deutschen Kontext hätten wir diese Tiefe kaum erreichen können. 

Wer nach Antworten sucht, sollte sich neugierig auf den Weg machen – sapere aude. Mit Critical Youth Work ist das eindrucksvoll als Format non-formalen Lernens, inhaltlich, konzeptionell und strukturell gelungen.