“Demokratie
braucht
politische Bildung”

Von Fühlen, Bildungsalltag und dem siebten Sinn – Emotionalität in politischer Bildung

Bericht der Fachgruppe „Arbeit und Lebensperspektive“
Programm Politische Jugendbildung im AdB

Emotionen sind Alltag in politischer Bildungsarbeit mit jungen Erwachsenen, die kontrovers, anregend, demokratisch und impulsgebend sein will. Aber erst langsam öffnet sich die klassisch-rationale Didaktik und Methodik für Vermittlungsformen, die vielfältige Erfahrungsebenen und Gefühle wecken können und diese zum Erkenntnisgewinn einsetzen.

Foto: Stiftung Akademie Waldschlösschen

Die Fachgruppe „Arbeit und Lebensperspektive“ im Programm „Politischen Jugendbildung im AdB“ fokussierte im Jahr 2019 die Emotionalität in politischen Bildungsprozessen. Anlass waren zunächst jene Analysen, die die Emotionalität der rechten Protagonist*innen als einen Hauptgrund für den zunehmenden Zuspruch rechtspopulistischer und antidemokratischer Kräfte in Deutschland bescheinigten.

 

Schaut man auf das professionelle Verständnis der politischen Bildner*innen, zählt bis heute das rationale Prinzip der Vermittlung und des Lernens. Erst langsam öffnet sich die klassisch-rationale Didaktik und Methodik für Vermittlungsformen, die vielfältige Erfahrungsebenen und Gefühle wecken können und diese zum Erkenntnisgewinn einsetzen. Emotionen, so ein zentrales Moment unserer Bildungsanalyse, sind Alltag in politischer Bildungsarbeit mit jungen Erwachsenen, die kontrovers, anregend, demokratisch und impulsgebend sein will.

 

Um zur Überwindung des binären Prinzips von Rationalität und Emotionalität beizutragen, bieten wir im Folgenden einen Einblick in unsere Fachgruppenarbeit, wobei wir (1) Emotionalität als Bildungsalltag betrachten, (2) unseren Beitrag auf dem 14. Bundeskongress der Politischen Bildung vorstellen und unsere Fachgruppen-Projekte im Themenkomplex „Arbeitswelt“ emotional verbinden (3 und 4). Unsere Thesen sind, dass Emotionalität ein notwendiger Zugang zu den Lern- und Lebenswelten der Teilnehmenden politischer Bildungsprozesse im Kontext von „Arbeitswelt und Lebensperspektive“ darstellt und dass die Emotionalität der aktuellen „Neuen Rechten“ in der Bundesrepublik ein Desintegrationspotenzial auf der Basis von Hass und Ausgrenzung innewohnt, wobei hier der Begriff der Emotionalität ein politischer Euphemismus ist. Deshalb laden wir ein, die Fühler auszustrecken und von unseren Vorstellungen der Vielfalt von Emotionalität zu lesen.

 

(1) Emotionalität ist Bildungsalltag

 

In unseren Bildungsveranstaltungen beobachteten wir, dass Emotionen in der politischen (Jugend-)Bildung häufig über dem Lernen im Kontext von Rationalität stehen. Rationalität wird in einer normativen Gesellschaft zum Kern politischer Bildungsprozesse gezählt. Emotionalität in Lernprozessen, Prozessen demokratischer Teilhabe und politischer Willensbekundung wird häufig zurückgewiesen und der Ruf nach einer „rationalen Diskussion und Auseinandersetzung“ wird laut. Geschlecht spielt in diesem Kontext eine bedeutende Rolle: Emotionalität in ihrer Vielfalt wird mit Weiblichkeit und Irrationalität verbunden. Rationalität ist ein männliches Prinzip, dem Klarheit und Wahrheit zugewiesen wird.

 

Dies korrespondiert mit der Überzeugung von Menschen, die bisher nicht viel Kontakt zur außerschulischen politischen Bildung hatten. Diese haben oft ein klares Bild von politischen Bildungsangeboten im Kopf: Da würde eine meist weiß-positionierte männliche Person mittleren oder fortgeschrittenen Alters vor eine Gruppe stehen und dozieren. Diese würde eine Wahrheit zu einem ausgewählten Thema verkünden und in Didaktik und Verfahren die Teilnehmenden auffordern, diese Wahrheit zu erlernen. Die Zuhörer*innen seien, so die Vorstellung, aufgefordert, an Tischen zu sitzen und das Gesprochene oder das Visualisierte mitzuschreiben und seien aufgefordert, zwischendurch Verständnisfragen zu stellen. Im Anschluss gäbe es eine Diskussion zum Thema.

 

Politischer Bildung haftet in dieser stereotypen Vorstellung die Idee des Konservativen, des Statischen und des Rationalen an. Dieses Bild aus der Mitte des letzten Jahrhunderts hält sich beständig im Alltagsverständnis von Personen, die kaum Berührungspunkte mit aktueller politischer Jugendbildung haben.

 

Demgegenüber aber hat sich politische Jugendbildung über die Jahrzehnte stetig weiterentwickelt: Sie ist offener, flexibler, diversitätssensibler, politisch positionierter geworden und sie integriert Emotionen, Lebenswelten und Vielfalt in ihren Konzepten und in ihren didaktischen Herangehensweisen, die zumeist auf die jeweiligen Zielgruppen zugeschnitten sind. Diese Diskursaktualität und die Heterogenität der politischen Bildung ermöglicht ihr, eine breite Palette für Lernräume zu eröffnen, in denen Emotionalität ausdrücklich erwünscht ist. Emotionalität als Teil der politischen Bildung ist Bildungsalltag. Sie zeigt sich auf den ersten Blick beispielsweise in der Vielfalt der Teilnehmenden der Jugendbildungsseminare und der Sichtbarkeit der mehrfachpositionierten Subjektidentitäten, die die Teilnehmenden mitbringen. Da ist die lesbisch lebende Teilnehmer*in ohne deutschen Pass oder die weiß-deutsche Bundesfreiwillige mit chronischer Erkrankung keine Ausnahme, sondern die Regel der Besucher*innen. Politische Jugendbildung anerkennt heute die Vielfalt und Mehrfachpositionierung ihrer Teilnehmenden. Normativitätskritische Räume der Sichtbarkeit für Vielfalt sind damit ein zentrales Ziel der politischen Jugendbildung unserer Arbeitsgruppe. Aus dieser Offenheit und Sichtbarkeit heraus, entstehen durch Auseinandersetzungen mit den diversen Subjektpositionen Räume, in denen Empowerment und Vulnerabilität auftauchen (können). Politische Jugendbildung öffnet mit der Anerkennung von Diversität Räume der Begegnung, des Austausches und der Erkenntnis, in denen Argumente und Emotionalitäten verhandelt und ausgetauscht werden.

 

Dies leuchtet allen Leser*innen sicher schnell ein. Denn zu Themen wie eigene subjektive Positionierung und Auseinandersetzung mit beispielsweise Migration und Einwanderung, Rassismus, Sexismus, Klima oder Arbeitswelt haben fast alle Teilnehmer*innen einen (emotionalen) Standpunkt. Diese sind häufig energetisch aufgeladen und sind zunächst sensibel auf- und ernst zu nehmen. Erst dann können sie in der Gruppe solidarisch begleitend, kritisch ausgearbeitet oder thematisiert werden. Das gelingt mal mehr mal weniger gut – aber als politische Bildner*innen stehen uns Methoden und Expertise zur Verfügung, die wir im Umgang mit der Vielfalt von Gefühlen wie bspw. Aufregung, Ablehnung, Wut, Enttäuschung, Hass, Ungerechtigkeitsempfinden oder die Wahrnehmung von Vulnerabilität einsetzen können. Ein Beispiel für das Eröffnen von Räumen für diese Auseinandersetzung bot unser Workshop auf dem Bundeskongress politische Bildung 2019.

 

(2) Emotionalität als didaktisches Moment

 

Die Fachgruppe hatte die Gelegenheit, auf dem 14. Bundeskongress politische Bildung 2019 „Was uns bewegt. Emotionen in Politik und Gesellschaft" mit anderen Bildner*innen und Fachkräften im Bereich der politischen Bildung über das Verhältnis von Politischer Bildungsarbeit und Emotionalität nachzudenken. In dem Workshop „Aber mit Gefühl … Moderation von Bildungsprozessen“ diskutierten wir das Phänomen des Weckens von negativen Emotionen in der Öffentlichkeitsarbeit vor allem rechter Parteien und Gruppierungen und die fast hilflos anmutende rationale Argumentation durch demokratische und antirassistische Kräfte dagegen.

 

 

Foto: Stiftung Akademie Waldschlösschen

 

 

Ausgehend von einer Selbsterfahrungsübung sollten die dabei entstandenen Gefühle und Gedanken analysiert und der Transfer zu Gesellschaft und Politik im weiteren Verlauf des Workshops hergestellt werden. In einem letzten Schritt wurde auf der Metaebene die Wichtigkeit der Moderation dieses Bildungsprozesses diskutiert.

 

Die durchgeführte und in der Praxis häufig erprobte Übung „Kampf um Geld und Macht“ (vgl. AdB 2016, S. 26 f.) thematisiert Ungleichheiten in der Verteilung von Ressourcen in der Gesellschaft hinsichtlich Vermögen, Einflussmöglichkeiten, Teilhabe und Kompetenzen sowie die Beteiligung an demokratischen Entscheidungsfindungsprozessen. Im Workshop wurde praxisnah ein eigener Bildungsprozess durchlebt. Zu Beginn wurden die Teilnehmenden ermuntert, sich auf die Übung und die damit einhergehende Selbsterfahrung als Teilnehmer*innen einzulassen. Erst in der Auswertung wurden die durchlebten Gefühle und Handlungen besprochen und analysiert und in Bezug zum eigenen Alltag gesetzt. Unsere Leitfrage war: Was zeigt die Übung über tatsächliche Verhältnisse und welche Schlussfolgerungen ziehen die Teilnehmenden aus der Reflexion der erlebten Emotionen?

 

Dabei wurde deutlich, wie wichtig die Begleitung einer Übung im Bildungsprozess ist und welche hohe Verantwortung die Moderation trägt. Die Gestaltung der Auswertung ist von großer Bedeutung, denn von ihr ist abhängig, ob die Zielsetzung für die Bildungseinheit erreicht wird und der Transfer zur aktuellen gesellschaftlichen Situation gelingt.

 

In diesem Kontext wurden verschiedene Techniken von Moderation aufgezeigt sowie eine potenzielle Manipulation problematisiert. Ebenso wurde diskutiert, warum sich politische Bildung überhaupt emotionalisierender Übungen bedient. Was spricht für deren Einsatz, was dagegen? Es wurde herausgearbeitet, dass die rationale Auseinandersetzung immer Teil von Emotionen hervorrufenden Übungen ist und dadurch erst politische Bildung stattfindet. Dafür leisten spielerische Methoden, die auf Affekte abzielen einen großen Beitrag: Alle Teilnehmer*innen können sich so an der Übung beteiligen wie sie wollen und können und gleichzeitig die soziale Erwünschtheit von Verhalten und Äußerungen als stete „Selbstzensur“ diskursiver Bildungsprozessen für einen Moment in den Hintergrund treten lassen. Am Anfang steht ein Impuls – die Einleitung der Übung –, auf den Erfahrungen folgen, die dann durch die Moderation aufgegriffen und gemeinsam mit den Teilnehmer*innen rationalisiert werden können. Dabei ist der Bildungsprozess im Kern induktiv, da vom Kleinen (die individuellen Eindrücke und Positionierungen) auf das große Ganze (die Gesellschaft, die Kultur, die Geschichte) geschlossen werden kann. Dieser niedrigschwellige Prozess ermöglicht es, mehr Teilnehmer*innen tatsächlich zu erreichen und am Bildungsprozess teilhaben zu lassen, als dies durch Bildungsformate möglich wäre, in denen die Teilnehmer*innen in der Regel versucht sind zu antizipieren, welche Verhaltensweisen und Antworten auf Zustimmung stoßen könnten, ob sich der Einstieg in eine Diskussion für sie „lohnt“ oder sie sich lieber enthalten bzw. zurückhalten. Es ist daher nicht nur eine wichtige Aufgabe der Moderation bzw. der politischen Bildner*innen, die Auswertung in den Blick zu nehmen, sondern bereits während der Übung sehr aufmerksam zu beobachten, was passiert und was unterbleibt, wie die Teilnehmer*innen aufeinander reagieren und wie sie sich äußern. Diese Beobachtungen sind essentiell für die Auswertung im Anschluss an die Übung und als Referenzpunkte für den weiteren Seminarverlauf. Die Vorstellung wiederum, mit Emotionen arbeitende Methoden seien besonders anfällig für Manipulationen, d. h. in ihren Zielen undurchschaubar, lässt sich durch eine klare Transparenz in den Zielen und Hintergründen einer Übung bzw. eines Seminars als Ganzes entkräften. Wird darüber hinaus auch die Wirkung von Emotionen und Affekten auf das Denken und Handeln transparent gemacht und reflektiert, wird sogar eine deutlich tiefergehende Diskussion politischer Prozesse mit den Teilnehmer*innen möglich, da eben jene Emotionen und Affekten ebenfalls Teil des politischen Diskurses sind.

 

(3) Emotionalität in Arbeit – und Zukunftsthemen

 

Das Thema der Arbeitswelt in der politischen Bildung ist inhaltlich sehr facettenreich. Arbeitswelten, Arbeitsmarktpolitik, Ökonomiewissen und Ökonomiekritik zählen zu den Inhalten der arbeitsweltbezogenen politischen Bildung der Fachgruppe. Diskurse zur digitalen Zukunft von Arbeit, zum demografischen Wandel und zur Zukunft der Erwerbsarbeit, zum Pflegenotstand, zum Lebensstandard, zu Lebensbalancen, zum Thema Löhne und Streiks und zu der Frage: Welcher Job hat Zukunft? gehören zum Repertoire der arbeitsweltbezogenen Inhalte. Zugleich sind Bildungsangebote zu Arbeit und Lebensperspektiven für Jugendliche auf den ersten Blick kein attraktives Angebot, weil sich das Feld durch seine Komplexität nur wenig zur Polarisierung eignet. Es zeigt sich in der Zusammenarbeit mit Schulen und anderen Kooperationspartner*innen, dass der Aspekt der Lebensplanung, der Beschäftigung mit Lebensperspektive und Lebensentwürfen und eigenen Lebenswelten von viel größerem Interesse für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist. Dieser subjektorientierte Zugang mit einer diversitätssensiblen Haltung dockt an die Erfahrungen und an das Erleben der Jugendlichen an. Deren Lebensrealität sind häufig von Unsicherheiten und Desorientierungen hinsichtlich ihrer persönlichen Berufs- und Lebensplanung geprägt. Versagensängste und Entscheidungsdruck spielen häufig eine große Rolle. Als Zugang zur Lebenswelt der teilnehmenden Jugendlichen braucht diese didaktische Überlegung, die Emotionalität, die Momente von Empowerment und die Momente der Vulnerabilität, um politische Prozesse zur gesellschaftlichen Teilhabe denkbar zu machen und eigene Beteiligung zu ermöglichen.

 

Die Jugendlichen werden in unseren Seminaren aufgefordert, sich zu positionieren, sich zu zeigen, ihre Wut, ihren Ärger, ihre diskriminierenden Erfahrungen und ihre Momente der Selbstermächtigung mit der sozialen Gruppe im Prozess der politischen Bildung zu teilen. An diesen Erfahrungen anknüpfend können Themen wie Lohngerechtigkeit, Arbeitsplatz, Digitalisierung, Gleichberechtigung, Stellenwert von Erwerbsarbeit usw. angeschlossen werden, weil die Jugendlichen durch den Lebensweltbezug eine Verbindung zu den eigenen Erfahrungen herstellen können. Junge Menschen bewegt nicht die zielgerichtete Frage nach dem zu erlernenden Beruf. Das ist nur ein Moment der Zukunftsfragen und -sorgen, auf den aber alle Jugendhilfeeinrichtungen, Schulen und häufig auch die Jugend(sozial-)arbeit fokussiert sind.

 

Die jungen Menschen wollen Anschlussthemen für ihre Fragen erfassen und diskutieren, wie zum Beispiel Fragen nach einer Vereinbarkeit von Familie und Beruf, nach Entwicklungsmöglichkeiten in ihrem Wunschberuf, dem Verhältnis von Arbeit und Freizeit.

 

Dabei hilft die in unserer Fachgruppe erarbeitete Expertise im Themenkomplex Care-Arbeit. Damit können die Teilnehmenden gefragt werden, wie sie ihr eigenes Leben gestalten wollen, wie sie Familienarbeit, Selbstsorge, Pflege der Geschwister oder älterer Familienangehöriger mit Lohnarbeit zusammendenken können, müssen und wollen. Es wird gefragt, wo sie Handlungsperspektiven für die individuelle Gestaltung ihrer persönlichen Situation sehen und wie ihre Erfahrungen in einen gesellschaftlichen Kontext (beispielsweise vor dem Hintergrund von Arbeitsmarkt- oder Familienpolitik, vor Alltagsrassismus oder dem Kontext von Heteronormativität) eingebettet werden können.

 

Die Erfahrungen von Diskriminierung und Isolation von individuellen oder gruppenkollektiven Erzählungen (z. B. als geflüchteter junger Mann) werden so im Bildungsseminar in einen strukturellen Kontext eingebettet. Zentrales Ziel ist, diese emotionalen, häufig vulnerablen Erfahrungen ebenso aufzugreifen, wie jene, die bestärkend wirken, um die Teilnehmenden zur gesellschaftlichen Teilhabe und zur Intervention und Solidarität zu ermutigen. Teilnehmende mit Privilegien werden aufgefordert zu schauen, wie sie ihre Privilegien einsetzen können, um Unrecht und Ungleichheit zu reduzieren. Durch didaktisch evozierte Zugänge zu Gefühlen wie Empörung, Wut, Verständnislosigkeit auf der einen Seite und Gefühle wie Gestaltbarkeit, Wirkmächtigkeit, Wohlfühlen, Vertrauen und realer Teilhabe auf der anderen Seite, zielt die arbeitsweltbezogene politische Jugendbildung auf die Bedarfe und die Fragen der Teilnehmenden ab. Diese Bedürfnisse und Bedarfe stehen im Mittelpunkt der Bildungsarbeit. Politische Jugendbildung rahmt diesen Prozess, eröffnet Räume für Partizipation, Emotionalität und Respekt und schafft so Räume für Anerkennung, Bewegung und Teilhabe.

 

So konzipierten und führten die in der Fachgruppe tätigen Bildungsreferent*innen im Laufe eines Jahres rund 60 diversitätssensible Veranstaltungen für Jugendliche im Themenschwerpunkt „Arbeit und Lebensperspektive“ im Programm „Politische Jugendbildung im AdB“ durch, bei denen die Mehrfachpositionierungen der Teilnehmenden und ihre Fragen im Mittelpunkt standen und besondere Orte der politischen Jugendbildungsarbeit entstehen konnten.

 

(4) Emotionalität im Pentagon

 

Jede der fünf Einrichtungen aus der Fachgruppe „Arbeit und Lebensperspektive“ hat vor diesem konzeptionellen Hintergrund einen eigenen Schwerpunkt im Blick. Wir verstehen uns als bildungspolitisches geographisches Pentagon im Programm der arbeitsweltpolitischen Jugendbildung, in denen die Emotionalität zu Arbeit- und Lebensperspektive konzeptionell verschieden aufgegriffen wird. Bei HochDrei e. V. – Bilden und Begegnen in Brandenburg in Potsdam wurde die Frage nach dem zeitlichen Stellenwert von Erwerbsarbeit im Leben und ihrer Bedeutung für die eigene Ökonomie gestellt – „Arbeit ist das halbe Leben!?“ (s. u.). Junge Menschen, die einen Freiwilligendienst in der Pflege absolvieren, beschäftigten sich mit ihrem Arbeitsplatz, den Rahmenbedingungen und mit Wünschen für die Gestaltung ihres Lebens. Flankiert wird die Auseinandersetzung und Reflexion von inhaltlicher Arbeit zu betrieblicher Mitbestimmung, zur Zukunft der Arbeit im Zusammenhang mit einer fortschreitenden Digitalisierung und deren Nutzen sowie zum Denken von Alternativen wie Grundeinkommen oder solidarisches Wirtschaften. In der Stiftung Akademie Waldschlösschen in Reinhausen bei Göttingen wurde in die jüngere Geschichte geschaut: Das Seminar „Unterm Regenbogen – Queere Leben, queere Kämpfe zwischen gestern und morgen“ (s. u.) beschäftigte sich mit den Kontinuitäten anti-queerer Haltungen in der Gesellschaft und ihre Auswirkungen auf die Lebensgestaltung junger, queerer Menschen. Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in den Blick zu nehmen und mit anderen Formen von Benachteiligung in Beziehung zu setzen sowie zusammen mit den Teilnehmer*innen Strategien zu entwickeln, ihre Lebens-, Bildungs- und Arbeitsorte queer- und diversitätsfreundlicher zu machen, sind zentrale Anliegen dieser politischen Jugendbildung. Darüber hinaus werden in der Akademie spielerische Methoden der politischen Bildung entwickelt und erprobt, wie beispielsweise die Bildungs-Escape-Rooms oder eine Anti-Parolen-App. In der Bildungsstätte Bredbeck – Heimvolkshochschule des Landkreises Osterholz bei Bremen liegt der Kern in der Arbeit mit jungen Menschen aus prekären Verhältnissen oder mit geringen Bildungschancen. Diese häufig mehrfach positionierten und mehrfachdiskriminierten jungen Menschen befassen sich in den Seminaren der politischen Jugendbildung mit dem Erleben von Diskriminierungen, mit ihren Interventionsformen für gesellschaftliche Teilhabe und mit ihren Wünschen an die Zukunft. Sie tauschen sich in geschlechtersensiblen Settings zu eigenen Erfahrungen und dem Erleben von (strukturellen) Hindernissen aus. Emotionen wie Resignation und Perspektivlosigkeit erhalten so erste Räume ebenso wie die Lust auf Gestaltung, Veränderung und der Austausch von eigenen Widerstandsformen gegen z. B. Anpassungsanforderungen aus Beruf und Schulbildung. Die Historisch-Ökologische Bildungsstätte Emsland in Papenburg e. V. thematisiert in ihren Seminaren das Thema „Gute Arbeit“ und ermöglicht jungen Menschen im Übergang Schule und Beruf eine kritische Auseinandersetzung mit ihren Lebensentwürfen hinsichtlich ihrer Bedingungen für gute Arbeit: Aspekte wie Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Mitgestaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten im Betrieb, Arbeitsintensität und Gesundheit sowie Einkommen und Rente sind dabei Gegenstand der vielfältigen Diskurse. Beispielhaft arbeitet die HÖB mit jungen Menschen mit Behinderung, die Teilnehmende im Berufsbildungsbereich der Caritas-Werkstätten in Papenburg sind. In der Seminararbeit beschäftigen sich die Teilnehmenden mit ihrer persönlichen Lebensplanung vor allem im Hinblick auf ihre berufliche Integration in den Arbeitsmarkt. Gegenwärtige und für sie zukünftig wünschenswerte Arbeitsbedingungen werden reflektiert sowie Strategien und Handlungsmöglichkeiten zur Durchsetzung ihrer Interessen erarbeitet. Im Mittelpunkt steht dabei, die Teilnehmenden zu ermutigen und zu empowern sich für ihre Interessen und Belange einzusetzen und ihnen dadurch (neue) Partizipationschancen zu eröffnen. Im Europahaus Aurich – Deutsch-Niederländische Heimvolkshochschule e. V. wurden junge Auszubildende im frühkindlichen Bereich auf ein europäisches Auslandspraktikum vorbereitet. Unter dem Titel „Working abroad – New horizons!“ wurden junge Menschen für interkulturelle Erfahrungen sensibilisiert, unterschiedliche Arbeits- und Lebensmodelle erörtert und der Vielfaltsbegriff thematisiert. In vielen weiteren – auch international ausgerichteten – Seminaren standen die Klimakrise als emotionale und existentielle Bedrohung im Vordergrund der politischen Jugendbildung: Wie können zukunftsfähige Lebens- und Arbeitsmodelle aussehen in einer sich rasant wandelnden Welt?

 

Emotionalität ist aber auch im Kreis der Fachgruppe selbst zentral geworden: Durch die intensive Beschäftigung mit dem Themenfeld Care-Arbeit gelangten die Bildungsreferent*innen der Fachgruppe zu einer hohen diesbezüglichen Sensibilität. So wird die kollegiale Beratung in der Fachgruppenarbeit zu einem Standard. Schwierige Situationen in Seminaren, gute Praxisbeispiele und mögliche Handlungsoptionen werden gemeinsam analysiert und bearbeitet. Das unterstützt nicht nur für die fachlich herausragende Arbeit, sondern trägt auch zur eigenen sozialen und gesunden Weiterentwicklung der gemeinsamen und der eigenen Lebens- und Arbeitswelten bei. Die Fachgruppe eröffnet sich damit einen emotionalen Raum, der einen kontinuierlich hohen Mehrwert schafft und nur durch die gegebene Struktur der bundesweiten Vernetzung der politischen Bildner*innen im AdB und die vorhandenen Rahmenbedingungen möglich ist. Auch dies kann als Best Practice für andere Netzwerke und Träger der politischen Bildung weitergegeben werden.

 

Berichte aus der Praxis

„Unterm Regenbogen – Queere Leben, queere Kämpfe zwischen gestern und morgen“

 

 

Foto: Stiftung Akademie Waldschlösschen

 

 

Was macht es mit einem Menschen, wenn die Partner*innenwahl nicht frei, nicht legal ist und gesellschaftlich nicht respektiert wird, sondern wenn diese kriminalisiert und tabuisiert wird und verheimlicht werden muss? Es gehört zu den unrühmlichen Entscheidungen des noch jungen Bundesverfassungsgerichts, dass es 1957 den Paragrafen 175, der den einvernehmlichen Geschlechtsverkehr zwischen Männern unter Strafe stellte, in seiner im Nationalsozialismus verschärften Form mit Verweis auf das Sittengesetz für grundgesetzkonform erklärte. Das Bundesverfassungsgericht verwehrte damit den Verurteilten und ehemals in Konzentrationslagern Inhaftierten das Recht auf Wiedergutmachung. Mehr noch, es verwehrte allen Betroffenen das Recht auf ein Leben in Würde. In der BRD folgte darauf eine Verfolgungswelle, die bis zur großen Strafrechtsreform 1969 andauerte. In der DDR war der entsprechende Paragraf im gleichen Jahr faktisch außer Kraft gesetzt worden. Die Zahlen an Verurteilungen und Ermittlungsverfahren sind mit denen aus der Zeit des Nationalsozialismus vergleichbar und belaufen sich auf jeweils um die einhunderttausend Fälle. Dies führte bei den Betroffenen, ihrer Umgebung und auch in der Gesellschaft als Ganzes zu einer Kultur der Einschüchterung, zu unterdrückten Gefühlen und Verzweiflung, aber zunehmend auch zu Wut, Empörung und Widerstand sowie dem Bewusstsein, nicht länger auf die soziale Anerkennung warten zu wollen, sondern gegen die eigene Entrechtung kämpfen zu wollen und sich gegenseitig zu ermutigen, diesen Weg offen und ohne Scham zu gehen.

 

Dieses emotionale „Erbe“ prägt bis heute die LSBTIQ* (lesbisch, schwul, bisexuell, trans*, inter* und queer) Bewegung(en) in Deutschland und ist ein historisches Teilstück des soziokulturellen Normierungsdrucks gegen sexuelle und geschlechtliche Vielfalt und Freiheit, der bis heute anhält und sich im nicht nachlassenden Bedarf nach queeren Jugendzentren und Jugendgruppen, Coming-out-Beratungen und Christopher-Street-Demonstrationen widerspiegelt. Wie aber lässt sich diese Verfolgungsgeschichte vermitteln, wenn es nur wenige Denkmäler und Ausstellungen darüber gibt, Zeitzeug*innen sich in die Anonymität zurückgezogen haben und wissenschaftliche Studien zum Thema noch immer rar sind?

 

Gemeinsam mit einer queeren Jugendgruppe und deren ehrenamtlichen Leiter*innen habe ich mich als Jugendbildungsreferentin des Waldschlösschens auf die Suche nach Zugängen zu diesem Thema gemacht. Im Frühjahr 2019 konnten wir das Anliegen, ein Seminar zu diesen Themen durchzuführen, gemeinsam in die Tat umsetzen.

 

Kernstück des Seminars war ein Ausflug nach Wolfenbüttel, das nicht nur für seine Herzog-August-Bibliothek bekannt ist, sondern für die Gedenkstätte Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel. Diese Gedenkstätte ist den Opfern der NS-Willkür-Justiz gewidmet und befindet sich innerhalb der Mauern der JVA Wolfenbüttel, die noch immer in Betrieb ist. Im Rahmen der Landeskampagne „Für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt* in Niedersachsen“ hatte eine Mitarbeiterin der Gedenkstätte das Gefängnisarchiv gesichtet und Akten von Inhaftierten gesucht, die zwischen 1949 und 1969 aufgrund des Paragrafen 175 verurteilt worden waren.

 

Ziel des Seminars war es, sich die historischen Einflüsse auf die eigene Lebenssituation und aktuelle politische, kulturelle und soziale Verhältnisse zu vergegenwärtigen, sich mit queeren Emanzipationswegen und der Geschichte der LSBTIQ-Menschenrechtsbewegung auseinanderzusetzen, die Bedeutung von Vorbildern und Figuren aus der Geschichte für das eigene geschlechtliche Selbstverständnis, die eigene Lebensplanung und den eigenen Umgang mit Geschlechterrollen/-normen zu reflektieren. Davon ausgehend wurden die Teilnehmer*innen eingeladen, in die Zukunft zu blicken und sich gemeinsam zu überlegen, wie das eigene Leben in der Zukunft aussehen solle und dabei sowohl die LSBTIQ*-Bewegung(en) als auch gesamtgesellschaftliche Fragen miteinzubeziehen. Auf methodisch-didaktischer Ebene war das Ziel, neben der Prüfung und Weiterentwicklung verschiedener Methoden, die Gedenkstätte Wolfenbüttel als Vermittlungsort von LSBTIQ*-(Verfolgungs-)Geschichte kennenzulernen und einzubinden. Im Folgenden soll Letzteres im Vordergrund stehen.

 

Der Besuch der Gedenkstätte war ein kleines Projekt für sich: Die Zugangszeiten mussten genau abgesprochen werden (nur werktags) und von allen Teilnehmer*innen mussten die Meldeadressen vier Wochen im Voraus eingereicht werden, da ein spontaner Besuch nicht möglich ist. Beim Betreten des Gefängnisses, auf dem sich die Gedenkstätte befindet, mussten sämtliche technische Geräte abgegeben werden und alle Besucher*innen eine Sicherheitsschleuse passieren. Während der gesamten Aufenthaltsdauer wurden alle Teilnehmer*innen von einer/m Mitarbeiter*in der Gedenkstätte begleitet, auch zu den WCs. Es stand daher außer Frage, dass die Gruppe auf den Gedenkstättenbesuch gut vorbereitet werden musste. Hierbei war dem Leitungsteam besonders wichtig, sodass die Teilnehmer*innen wussten, dass sie jederzeit die Möglichkeit hatten, den Besuch abzubrechen und eine Person aus dem Team für sie da sein würde. Zur thematischen Vorbereitung wurde am Vorabend der Besichtigung die Methode „Their/her/history“ durchgeführt, um mit den Teilnehmer*innen darüber zu diskutieren, wie sich Wünsche/Ziele/Hoffnungen in ihren Familien in den letzten drei Generationen verändert haben, was es für Kontinuitäten gegeben hat und was sich hinsichtlich des Umgangs mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt davon ableiten lässt.

 

Der Besuch der Gedenkstätte gliederte sich in folgende Programmpunkte: kurze Vorstellung der Geschichte der JVA, Einführung in LSBTIQ*-Geschichte im 20. Jahrhundert, Vorstellung und Auseinandersetzung mit dem Archivmaterial der aufgrund des Paragrafen 175 Inhaftierten sowie Besuch der Hinrichtungsstelle und Vorstellung des Schicksals der 1944 am Ort hingerichteten Erna Wazinski. Ihre Verurteilung als „Volksschädling“ in Folge der Denunziation, sie hätte ein durch Bomben zerstörtes Haus geplündert, wurde erst nach mehreren Versuchen 1991 durch einen Freispruch aufgehoben.

 

Nach der Rückkehr ins Waldschlösschen und dem gemeinsamen Abendessen wurde der Gedenkstättenbesuch gemeinsam reflektiert. Für alle Teilnehmer*innen stand außer Frage, dass der Besuch sie emotional berührt hat und er sich auf jeden Fall gelohnt habe. Viele waren auf eigene Wissenslücken gestoßen, wurden sich der Verfolgungsgeschichte von zumeist homosexuellen Männern bewusst und nahmen Demokratie und Toleranz verstärkt als persönlichen Wert wahr. Gerade die Arbeit mit Archivmaterial an einem Ort der Inhaftierungen war für die Teilnehmer*innen außerordentlich bewegend. Außerdem sei die Architektur der Gebäude und insbesondere die Hinrichtungsstelle emotional sehr aufwühlend gewesen. Ein*e Teilnehmer*in musste kurz nach Betreten die Hinrichtungsstelle in Begleitung des Mitarbeiters der Gedenkstätte wieder verlassen. Dies war nicht ganz unproblematisch, da der Zugang nur über den Gefängnishof möglich ist, der während der Pausenzeiten der Inhaftierten von Besucher*innen nicht betreten werden darf.

 

Affektives Lernen konnte somit auf mehreren Ebenen stattfinden: als didaktisch begründetes Element eines Bildungsprozesses zu queerer Geschichte und queeren Lebensperspektiven, als Aufgreifen der Verfolgungs- und Diskriminierungsgeschichte von LSBTIQ*, die bis heute nicht abgeschlossen ist und daher nicht nur rein rational betrachtet werden kann, durch die Einbeziehung der unmittelbar beklemmenden und erschütternden Wirkung eines Gefängnisses und einer Hinrichtungsstätte sowie – im Kontrast dazu stehend – durch das Waldschlössen als einem Ort des Frei-Sein-Dürfens und Stärkung-Erfahrens.

 

Kim Alexandra Trau, Stiftung Akademie Waldschlösschen

www.waldschloesschen.org

 

Berichte aus der Praxis

„Arbeit ist das halbe Leben!?“ – 5 Tage in Potsdam

 

 

Foto: HochDrei e. V.

 

„Wieviel verdienst du eigentlich so im Monat?“ Die Antwort des Gewerkschaftssekretärs auf diese Frage ließ die jugendlichen Teilnehmenden aufhorchen und das mittägliche Seminartief war weggeblasen. Das war natürlich interessant. Waren doch Gehaltsvorstellungen und was es so braucht zum guten Leben Gegenstand der Diskussion vorher im Seminar. Hier haben der direkte Bezug und offensichtlich ein emotionales Interesse am Thema den Anlass gegeben, um sich weiter inhaltlich im Seminarprozess einzubringen.

 

Mit affektivem Lernen und dem Schaffen von Lernanlässen wurde in den fünf Tagen der Bildungsveranstaltung mit dem Titel „Arbeit ist das halbe Leben!?“ in der Bildungsstätte des HochDrei e. V. bewusst gearbeitet. Mit dem Seminar waren verschiedene Zielsetzungen verbunden.

Es ging um verschiedene Definitionen des Begriffs Arbeit, wie Erwerbsarbeit, Care-Arbeit sowie um die individuelle Bedeutung von Arbeit und die Möglichkeiten der Selbstbestimmung im Zusammenhang mit Erwerbsarbeit. Entgrenzte Arbeitszeiten und die voranschreitende Digitalisierung sollten in den Seminareinheiten ebenso Platz haben wie die Betrachtung der demokratischen und rechtlich vorgesehenen Mitbestimmungsmöglichkeiten in Betrieben. Alternativen zur derzeitigen Arbeits- und Güterteilung sollten anhand von unterschiedlichen Wirtschaftsmodellen betrachtet werden, wie bspw. Kapitalismus, solidarische Wirtschaft, Grundeinkommen.

 

Über Arbeitszeiten und wer macht was, wurde bereits zu Beginn lebhaft debattiert. Mit persönlichem Bezug wurden Thesen diskutiert, zu denen sich die Teilnehmenden vorher positionierten: bspw. „Für Hausarbeit wende ich mindestens fünf Stunden pro Woche auf“ oder „In Deutschland haben alle die gleichen Chancen auf eine gute Ausbildung und Arbeit“. Verschiedene Haltungen und Erfahrungen der Teilnehmenden konnten so sichtbar gemacht werden. Die Frauen in der Gruppe gaben an, dass sie überwiegend mehr Zeit für Hausarbeit aufbrachten und dass ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt stark vom eigenen Status (Geschlecht, Migrationshintergrund etc.) geprägt war. Diese Zusammenhänge konnten in den Diskussionen gut verdeutlicht werden.

 

Bei dem Versuch, „gute Arbeit“ zu definieren und nach einer persönlichen Bewertung verschiedener Kriterien für gute Arbeit wie Vergütung, Arbeitsplatz und Mitbestimmungsmöglichkeiten zeigte sich, dass Vergütung und Arbeitsklima für fast alle Teilnehmenden eine große Rolle spielt. Der gesellschaftliche Nutzen der Arbeit wurde dagegen gar nicht in Betracht gezogen und zum Teil als Parameter nicht verstanden, als wäre der Arbeitsplatz losgelöst von seiner gesellschaftlichen Bedeutung. Im Laufe der Diskussion gelang es, diesen Punkt an Hand von Beispielen zu klären und ein erweitertes Verständnis von Arbeit zu erreichen.

 

Da die meisten der teilnehmenden Jugendlichen einen Freiwilligendienst absolvierten, traf der Themenkomplex der Care-Arbeit auf großes Interesse.

 

Wichtige Stichpunkte bei der Bearbeitung waren die (mangelnde) gesellschaftliche Anerkennung und Entlohnung, die Geschlechterperspektive sowie die Unterscheidung von bezahlter und unbezahlter Arbeit. In diesem Zusammenhang wurde das Konzept der „Care-Revolution“ (vgl. Winkler 2015) nähergebracht, das eine gesellschaftliche Neuorganisation von Care-Arbeit vorschlägt und u. a. die Selbstpflege als Arbeitsbereich mit in den Blick nimmt. Das Konzept bewerteten die Teilnehmenden als utopisch aber zugleich gut geeignet, um die gesellschaftliche Debatte zur Aufwertung von Pflege voranzubringen.

 

Der Frage nach der Höhe des Gehalts eines/einer Gewerkschaftssekretärs*in ging im Seminar die Beschäftigung mit den Interessengegensätzen von Arbeitgeber*innen und Arbeitskräften voraus. In der Übung „Der perfekte Arbeitsplatz – die perfekte Arbeitskraft“ erarbeiteten die Teilnehmenden die unterschiedlichen Perspektiven, Erwartungen und Interessen. Vertiefende Informationen zur betrieblichen Mitbestimmung und Interessenvertretung konnten die Jugendlichen dann vor Ort bei der Ver.di-Geschäftsstelle in Potsdam einholen. Hier erfuhren sie von den gesetzlichen Grundlagen der betrieblichen Mitbestimmung und den Etappen einer Tarifverhandlung. Sie erfuhren von den Tarifauseinandersetzungen in der letzten Zeit, insbesondere im Pflegebereich und von den Forderungen nach mehr Personal in verschiedenen Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen im Bundesgebiet und konkret von der Durchsetzung eines Pflegepersonalschlüssels in der Berliner Charité.

 

Emotional ging es bei dem Thema Digitalisierung zu. Mit fachlichem Input aus der Technischen Universität Berlin bekam die Gruppe einen Einblick in die neuesten Entwicklungen in Sachen digitalisierte Arbeitsunterstützung (bspw. im Pflegebereich) und die Zukunft von Berufen, denen prognostiziert wird, dass sie nicht mehr von Menschen ausgeführt werden müssten. Diese Fragen berührte die Jugendlichen und sie stellten fest, dass Pflege nicht ohne Menschen und soziales Miteinander stattfinden kann.

 

Die wachsende soziale Ungleichheit, die u. a. durch ungleiche Zugänge zu Berufsfeldern und die unterschiedliche Einkommensverteilung entsteht, nahmen die Teilnehmenden mithilfe der Übung „Kampf um Geld und Macht“ (vgl. AdB 2016, S. 26 f.) in den Blick. Sie empörten sich über das Ausmaß der Ungleichheit und erörterten verschiedene Maßnahmen und alternative Modelle zur Verbesserung dieser Zustände, wie z. B. das Grundeinkommen. Das war durchaus kontrovers: Verschiedene Gerechtigkeitskonzepte wurden erörtert und es wurde die Frage aufgeworfen, inwiefern Leistungsvermögen und -wille als Voraussetzungen für gesellschaftliche Solidarität gelten muss. Einig war die Gruppe sich darin, dass die Herausforderungen der Zukunft wie z. B. die zunehmende Globalisierung der Wirtschaft und der digitale Fortschritt nur mit neuen Ideen und Konzepten gemeistert werden können. Es konnte deutlich gemacht werden, dass für die Entwicklung dieser Neuerungen eine breite gesellschaftliche Debatte unter Beteiligung möglichst vieler Menschen wünschenswert wäre.

 

Es ist der Professionalität der politischen Bildner*innen geschuldet, gleich einem siebten Sinn, die Bedarfe, Interessen und Fragen mit affektiven Momenten der Erfahrung zu verbinden. Es gilt in Situationen, in denen Affekte eine bedeutende Rolle spielen, diese erfahrbar zu machen und zu reflektieren und die Prozesse durch eine gelingende Moderation so zu gestalten, dass Räume für politische Bildung und Partizipation entstehen, in denen die Lebenswelten der Teilnehmenden eine zentrale Rolle spielen.

 

Tanja Berger, HochDrei e. V. – Bilden und Begegnen in Brandenburg

www.hochdrei.org

 

Literatur

Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten (AdB) (Hrsg.) (2016): Über Arbeiten! Impulse und Methoden für die arbeitsweltbezogene politische Jugendbildung; erstellt von der Projektgruppe „Arbeitsweltbezogene politische Bildung“ im Programm „Politische Jugendbildung im AdB“ (2011–2016). Berlin: AdB; www.adb.de/download/publikationen/AdB_Broschu%CC%88re_Arbeitswelt_WEB.pdf

Winkler, Gabriele (2015): „Care Revolution“ – Gabriele Winker über Schritte in eine solidarische Gesellschaft. Ein Interview; www.bing.com/videos/search?q=winker+Care+revolution&view=detail&mid=8B2F9D921247948FE14D8B2F9D921247948FE14D&FORM=VIRE (Zugriff. 27.02.2020)