Ausgehend von einer Selbsterfahrungsübung sollten die dabei entstandenen Gefühle und Gedanken analysiert und der Transfer zu Gesellschaft und Politik im weiteren Verlauf des Workshops hergestellt werden. In einem letzten Schritt wurde auf der Metaebene die Wichtigkeit der Moderation dieses Bildungsprozesses diskutiert.
Die durchgeführte und in der Praxis häufig erprobte Übung „Kampf um Geld und Macht“ (vgl. AdB 2016, S. 26 f.) thematisiert Ungleichheiten in der Verteilung von Ressourcen in der Gesellschaft hinsichtlich Vermögen, Einflussmöglichkeiten, Teilhabe und Kompetenzen sowie die Beteiligung an demokratischen Entscheidungsfindungsprozessen. Im Workshop wurde praxisnah ein eigener Bildungsprozess durchlebt. Zu Beginn wurden die Teilnehmenden ermuntert, sich auf die Übung und die damit einhergehende Selbsterfahrung als Teilnehmer*innen einzulassen. Erst in der Auswertung wurden die durchlebten Gefühle und Handlungen besprochen und analysiert und in Bezug zum eigenen Alltag gesetzt. Unsere Leitfrage war: Was zeigt die Übung über tatsächliche Verhältnisse und welche Schlussfolgerungen ziehen die Teilnehmenden aus der Reflexion der erlebten Emotionen?
Dabei wurde deutlich, wie wichtig die Begleitung einer Übung im Bildungsprozess ist und welche hohe Verantwortung die Moderation trägt. Die Gestaltung der Auswertung ist von großer Bedeutung, denn von ihr ist abhängig, ob die Zielsetzung für die Bildungseinheit erreicht wird und der Transfer zur aktuellen gesellschaftlichen Situation gelingt.
In diesem Kontext wurden verschiedene Techniken von Moderation aufgezeigt sowie eine potenzielle Manipulation problematisiert. Ebenso wurde diskutiert, warum sich politische Bildung überhaupt emotionalisierender Übungen bedient. Was spricht für deren Einsatz, was dagegen? Es wurde herausgearbeitet, dass die rationale Auseinandersetzung immer Teil von Emotionen hervorrufenden Übungen ist und dadurch erst politische Bildung stattfindet. Dafür leisten spielerische Methoden, die auf Affekte abzielen einen großen Beitrag: Alle Teilnehmer*innen können sich so an der Übung beteiligen wie sie wollen und können und gleichzeitig die soziale Erwünschtheit von Verhalten und Äußerungen als stete „Selbstzensur“ diskursiver Bildungsprozessen für einen Moment in den Hintergrund treten lassen. Am Anfang steht ein Impuls – die Einleitung der Übung –, auf den Erfahrungen folgen, die dann durch die Moderation aufgegriffen und gemeinsam mit den Teilnehmer*innen rationalisiert werden können. Dabei ist der Bildungsprozess im Kern induktiv, da vom Kleinen (die individuellen Eindrücke und Positionierungen) auf das große Ganze (die Gesellschaft, die Kultur, die Geschichte) geschlossen werden kann. Dieser niedrigschwellige Prozess ermöglicht es, mehr Teilnehmer*innen tatsächlich zu erreichen und am Bildungsprozess teilhaben zu lassen, als dies durch Bildungsformate möglich wäre, in denen die Teilnehmer*innen in der Regel versucht sind zu antizipieren, welche Verhaltensweisen und Antworten auf Zustimmung stoßen könnten, ob sich der Einstieg in eine Diskussion für sie „lohnt“ oder sie sich lieber enthalten bzw. zurückhalten. Es ist daher nicht nur eine wichtige Aufgabe der Moderation bzw. der politischen Bildner*innen, die Auswertung in den Blick zu nehmen, sondern bereits während der Übung sehr aufmerksam zu beobachten, was passiert und was unterbleibt, wie die Teilnehmer*innen aufeinander reagieren und wie sie sich äußern. Diese Beobachtungen sind essentiell für die Auswertung im Anschluss an die Übung und als Referenzpunkte für den weiteren Seminarverlauf. Die Vorstellung wiederum, mit Emotionen arbeitende Methoden seien besonders anfällig für Manipulationen, d. h. in ihren Zielen undurchschaubar, lässt sich durch eine klare Transparenz in den Zielen und Hintergründen einer Übung bzw. eines Seminars als Ganzes entkräften. Wird darüber hinaus auch die Wirkung von Emotionen und Affekten auf das Denken und Handeln transparent gemacht und reflektiert, wird sogar eine deutlich tiefergehende Diskussion politischer Prozesse mit den Teilnehmer*innen möglich, da eben jene Emotionen und Affekten ebenfalls Teil des politischen Diskurses sind.
(3) Emotionalität in Arbeit – und Zukunftsthemen
Das Thema der Arbeitswelt in der politischen Bildung ist inhaltlich sehr facettenreich. Arbeitswelten, Arbeitsmarktpolitik, Ökonomiewissen und Ökonomiekritik zählen zu den Inhalten der arbeitsweltbezogenen politischen Bildung der Fachgruppe. Diskurse zur digitalen Zukunft von Arbeit, zum demografischen Wandel und zur Zukunft der Erwerbsarbeit, zum Pflegenotstand, zum Lebensstandard, zu Lebensbalancen, zum Thema Löhne und Streiks und zu der Frage: Welcher Job hat Zukunft? gehören zum Repertoire der arbeitsweltbezogenen Inhalte. Zugleich sind Bildungsangebote zu Arbeit und Lebensperspektiven für Jugendliche auf den ersten Blick kein attraktives Angebot, weil sich das Feld durch seine Komplexität nur wenig zur Polarisierung eignet. Es zeigt sich in der Zusammenarbeit mit Schulen und anderen Kooperationspartner*innen, dass der Aspekt der Lebensplanung, der Beschäftigung mit Lebensperspektive und Lebensentwürfen und eigenen Lebenswelten von viel größerem Interesse für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist. Dieser subjektorientierte Zugang mit einer diversitätssensiblen Haltung dockt an die Erfahrungen und an das Erleben der Jugendlichen an. Deren Lebensrealität sind häufig von Unsicherheiten und Desorientierungen hinsichtlich ihrer persönlichen Berufs- und Lebensplanung geprägt. Versagensängste und Entscheidungsdruck spielen häufig eine große Rolle. Als Zugang zur Lebenswelt der teilnehmenden Jugendlichen braucht diese didaktische Überlegung, die Emotionalität, die Momente von Empowerment und die Momente der Vulnerabilität, um politische Prozesse zur gesellschaftlichen Teilhabe denkbar zu machen und eigene Beteiligung zu ermöglichen.
Die Jugendlichen werden in unseren Seminaren aufgefordert, sich zu positionieren, sich zu zeigen, ihre Wut, ihren Ärger, ihre diskriminierenden Erfahrungen und ihre Momente der Selbstermächtigung mit der sozialen Gruppe im Prozess der politischen Bildung zu teilen. An diesen Erfahrungen anknüpfend können Themen wie Lohngerechtigkeit, Arbeitsplatz, Digitalisierung, Gleichberechtigung, Stellenwert von Erwerbsarbeit usw. angeschlossen werden, weil die Jugendlichen durch den Lebensweltbezug eine Verbindung zu den eigenen Erfahrungen herstellen können. Junge Menschen bewegt nicht die zielgerichtete Frage nach dem zu erlernenden Beruf. Das ist nur ein Moment der Zukunftsfragen und -sorgen, auf den aber alle Jugendhilfeeinrichtungen, Schulen und häufig auch die Jugend(sozial-)arbeit fokussiert sind.
Die jungen Menschen wollen Anschlussthemen für ihre Fragen erfassen und diskutieren, wie zum Beispiel Fragen nach einer Vereinbarkeit von Familie und Beruf, nach Entwicklungsmöglichkeiten in ihrem Wunschberuf, dem Verhältnis von Arbeit und Freizeit.
Dabei hilft die in unserer Fachgruppe erarbeitete Expertise im Themenkomplex Care-Arbeit. Damit können die Teilnehmenden gefragt werden, wie sie ihr eigenes Leben gestalten wollen, wie sie Familienarbeit, Selbstsorge, Pflege der Geschwister oder älterer Familienangehöriger mit Lohnarbeit zusammendenken können, müssen und wollen. Es wird gefragt, wo sie Handlungsperspektiven für die individuelle Gestaltung ihrer persönlichen Situation sehen und wie ihre Erfahrungen in einen gesellschaftlichen Kontext (beispielsweise vor dem Hintergrund von Arbeitsmarkt- oder Familienpolitik, vor Alltagsrassismus oder dem Kontext von Heteronormativität) eingebettet werden können.
Die Erfahrungen von Diskriminierung und Isolation von individuellen oder gruppenkollektiven Erzählungen (z. B. als geflüchteter junger Mann) werden so im Bildungsseminar in einen strukturellen Kontext eingebettet. Zentrales Ziel ist, diese emotionalen, häufig vulnerablen Erfahrungen ebenso aufzugreifen, wie jene, die bestärkend wirken, um die Teilnehmenden zur gesellschaftlichen Teilhabe und zur Intervention und Solidarität zu ermutigen. Teilnehmende mit Privilegien werden aufgefordert zu schauen, wie sie ihre Privilegien einsetzen können, um Unrecht und Ungleichheit zu reduzieren. Durch didaktisch evozierte Zugänge zu Gefühlen wie Empörung, Wut, Verständnislosigkeit auf der einen Seite und Gefühle wie Gestaltbarkeit, Wirkmächtigkeit, Wohlfühlen, Vertrauen und realer Teilhabe auf der anderen Seite, zielt die arbeitsweltbezogene politische Jugendbildung auf die Bedarfe und die Fragen der Teilnehmenden ab. Diese Bedürfnisse und Bedarfe stehen im Mittelpunkt der Bildungsarbeit. Politische Jugendbildung rahmt diesen Prozess, eröffnet Räume für Partizipation, Emotionalität und Respekt und schafft so Räume für Anerkennung, Bewegung und Teilhabe.
So konzipierten und führten die in der Fachgruppe tätigen Bildungsreferent*innen im Laufe eines Jahres rund 60 diversitätssensible Veranstaltungen für Jugendliche im Themenschwerpunkt „Arbeit und Lebensperspektive“ im Programm „Politische Jugendbildung im AdB“ durch, bei denen die Mehrfachpositionierungen der Teilnehmenden und ihre Fragen im Mittelpunkt standen und besondere Orte der politischen Jugendbildungsarbeit entstehen konnten.
(4) Emotionalität im Pentagon
Jede der fünf Einrichtungen aus der Fachgruppe „Arbeit und Lebensperspektive“ hat vor diesem konzeptionellen Hintergrund einen eigenen Schwerpunkt im Blick. Wir verstehen uns als bildungspolitisches geographisches Pentagon im Programm der arbeitsweltpolitischen Jugendbildung, in denen die Emotionalität zu Arbeit- und Lebensperspektive konzeptionell verschieden aufgegriffen wird. Bei HochDrei e. V. – Bilden und Begegnen in Brandenburg in Potsdam wurde die Frage nach dem zeitlichen Stellenwert von Erwerbsarbeit im Leben und ihrer Bedeutung für die eigene Ökonomie gestellt – „Arbeit ist das halbe Leben!?“ (s. u.). Junge Menschen, die einen Freiwilligendienst in der Pflege absolvieren, beschäftigten sich mit ihrem Arbeitsplatz, den Rahmenbedingungen und mit Wünschen für die Gestaltung ihres Lebens. Flankiert wird die Auseinandersetzung und Reflexion von inhaltlicher Arbeit zu betrieblicher Mitbestimmung, zur Zukunft der Arbeit im Zusammenhang mit einer fortschreitenden Digitalisierung und deren Nutzen sowie zum Denken von Alternativen wie Grundeinkommen oder solidarisches Wirtschaften. In der Stiftung Akademie Waldschlösschen in Reinhausen bei Göttingen wurde in die jüngere Geschichte geschaut: Das Seminar „Unterm Regenbogen – Queere Leben, queere Kämpfe zwischen gestern und morgen“ (s. u.) beschäftigte sich mit den Kontinuitäten anti-queerer Haltungen in der Gesellschaft und ihre Auswirkungen auf die Lebensgestaltung junger, queerer Menschen. Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in den Blick zu nehmen und mit anderen Formen von Benachteiligung in Beziehung zu setzen sowie zusammen mit den Teilnehmer*innen Strategien zu entwickeln, ihre Lebens-, Bildungs- und Arbeitsorte queer- und diversitätsfreundlicher zu machen, sind zentrale Anliegen dieser politischen Jugendbildung. Darüber hinaus werden in der Akademie spielerische Methoden der politischen Bildung entwickelt und erprobt, wie beispielsweise die Bildungs-Escape-Rooms oder eine Anti-Parolen-App. In der Bildungsstätte Bredbeck – Heimvolkshochschule des Landkreises Osterholz bei Bremen liegt der Kern in der Arbeit mit jungen Menschen aus prekären Verhältnissen oder mit geringen Bildungschancen. Diese häufig mehrfach positionierten und mehrfachdiskriminierten jungen Menschen befassen sich in den Seminaren der politischen Jugendbildung mit dem Erleben von Diskriminierungen, mit ihren Interventionsformen für gesellschaftliche Teilhabe und mit ihren Wünschen an die Zukunft. Sie tauschen sich in geschlechtersensiblen Settings zu eigenen Erfahrungen und dem Erleben von (strukturellen) Hindernissen aus. Emotionen wie Resignation und Perspektivlosigkeit erhalten so erste Räume ebenso wie die Lust auf Gestaltung, Veränderung und der Austausch von eigenen Widerstandsformen gegen z. B. Anpassungsanforderungen aus Beruf und Schulbildung. Die Historisch-Ökologische Bildungsstätte Emsland in Papenburg e. V. thematisiert in ihren Seminaren das Thema „Gute Arbeit“ und ermöglicht jungen Menschen im Übergang Schule und Beruf eine kritische Auseinandersetzung mit ihren Lebensentwürfen hinsichtlich ihrer Bedingungen für gute Arbeit: Aspekte wie Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Mitgestaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten im Betrieb, Arbeitsintensität und Gesundheit sowie Einkommen und Rente sind dabei Gegenstand der vielfältigen Diskurse. Beispielhaft arbeitet die HÖB mit jungen Menschen mit Behinderung, die Teilnehmende im Berufsbildungsbereich der Caritas-Werkstätten in Papenburg sind. In der Seminararbeit beschäftigen sich die Teilnehmenden mit ihrer persönlichen Lebensplanung vor allem im Hinblick auf ihre berufliche Integration in den Arbeitsmarkt. Gegenwärtige und für sie zukünftig wünschenswerte Arbeitsbedingungen werden reflektiert sowie Strategien und Handlungsmöglichkeiten zur Durchsetzung ihrer Interessen erarbeitet. Im Mittelpunkt steht dabei, die Teilnehmenden zu ermutigen und zu empowern sich für ihre Interessen und Belange einzusetzen und ihnen dadurch (neue) Partizipationschancen zu eröffnen. Im Europahaus Aurich – Deutsch-Niederländische Heimvolkshochschule e. V. wurden junge Auszubildende im frühkindlichen Bereich auf ein europäisches Auslandspraktikum vorbereitet. Unter dem Titel „Working abroad – New horizons!“ wurden junge Menschen für interkulturelle Erfahrungen sensibilisiert, unterschiedliche Arbeits- und Lebensmodelle erörtert und der Vielfaltsbegriff thematisiert. In vielen weiteren – auch international ausgerichteten – Seminaren standen die Klimakrise als emotionale und existentielle Bedrohung im Vordergrund der politischen Jugendbildung: Wie können zukunftsfähige Lebens- und Arbeitsmodelle aussehen in einer sich rasant wandelnden Welt?
Emotionalität ist aber auch im Kreis der Fachgruppe selbst zentral geworden: Durch die intensive Beschäftigung mit dem Themenfeld Care-Arbeit gelangten die Bildungsreferent*innen der Fachgruppe zu einer hohen diesbezüglichen Sensibilität. So wird die kollegiale Beratung in der Fachgruppenarbeit zu einem Standard. Schwierige Situationen in Seminaren, gute Praxisbeispiele und mögliche Handlungsoptionen werden gemeinsam analysiert und bearbeitet. Das unterstützt nicht nur für die fachlich herausragende Arbeit, sondern trägt auch zur eigenen sozialen und gesunden Weiterentwicklung der gemeinsamen und der eigenen Lebens- und Arbeitswelten bei. Die Fachgruppe eröffnet sich damit einen emotionalen Raum, der einen kontinuierlich hohen Mehrwert schafft und nur durch die gegebene Struktur der bundesweiten Vernetzung der politischen Bildner*innen im AdB und die vorhandenen Rahmenbedingungen möglich ist. Auch dies kann als Best Practice für andere Netzwerke und Träger der politischen Bildung weitergegeben werden.
Berichte aus der Praxis
„Unterm Regenbogen – Queere Leben, queere Kämpfe zwischen gestern und morgen“