“Demokratie
braucht
politische Bildung”

Rassismuskritik als Professionskompetenz

Fachtagung im September 2022 im Tagungshotel Dietrich-Bonhoeffer-Haus Berlin
Foto: AdB
19.09. 2022

Fachtagung des AdB zum Stellenwert von rassismuskritischem Denken in der politischen Bildung

Nach dem Stellenwert von rassismuskritischem Denken in der politischen Bildung fragte die Fachtagung „Rassismuskritisch denken lernen. Diversität in Gesellschaft und Demokratie in und mit politischer Bildung stärken“, die der Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e. V. (AdB) am 5. und 6. September 2022 im Tagungshotel Dietrich-Bonhoeffer-Haus Berlin veranstaltete und dafür Expert*innen aus theoretischen Begriffsdiskursen wie praktischer Bildungsarbeit zusammenbrachte.

 

Über fünfzig Fachkräfte der politischen Bildung diskutierten offen und konstruktiv über unterschiedliche Perspektiven und suchten gemeinsame Antworten. Die Fachtagung bündelt die bereits zweijährige thematische Auseinandersetzung des AdB in Form der Jahresthemen 2021/22: „Was WEISS ich? Rassismuskritisch denken lernen! Eine Kernaufgabe für Gesellschaft und Politische Bildung“ (2021) und „Rassismuskritisch denken lernen: Diversität in Gesellschaft und Demokratie in und mit politischer Bildung stärken“ (2022).

 

Boris Brokmeier, Vorsitzender des AdB spannte zu Beginn der Veranstaltung den thematischen Rahmen vor den Hintergrund sich verschärfender gesellschaftlicher und politischer Polarisierungen. Die Aufgabe sei es, so Brokmeier, im Sinne der politischen Bildung „Urteilsfähigkeit zu fördern, aber auch vor Selbstreflexion und -kritik von eigenen Institutionen und Verbandsstrukturen nicht zurückzuschrecken“. Zugleich setze AdB mit der Tagung den eigenen innerverbandlichen Meinungsbildungsprozess über die Frage fort, welche Rolle die politische Bildung in einer Gesellschaft der Vielen einnehmen kann und muss.

 

Um eine gemeinsame Arbeitsbasis im kritischen Weiterdenken zu ermöglichen, richtete Prof. Dr. Karim Fereidooni, Juniorprofessor für Didaktik der sozialwissenschaftlichen Bildung an der Ruhr-Universität Bochum, in seinem Eingangsvortrag einige begriffliche und konzeptionelle Empfehlungen an das Publikum. Zudem benannte er die aus seiner Sicht überfälligen Änderungen im professionellen Selbstverständnis auf dem Weg zu einer rassismuskritischen politischen Bildung. Wie bereits im 16. Kinder- und Jugendbericht aufgegriffen, sei die Vorstellung von politischer Bildung als „neutral“ eine „missverstandene Indifferenz gegenüber menschenfeindlichen Positionen“, so Fereidooni. Aufgabe sei das exakte Gegenteil. Politische Bildner*innen seien verpflichtet sich im Sinne des Grundgesetzes und der Menschenrechte zu positionieren. Demokratische Bildung allgemein verlange nach einer Auseinandersetzung mit Ungleichheitsvorstellungen und deren Konsequenzen.

 

Dies alleine garantiere jedoch noch keine durch rassismuskritisches Denken geleitete politische Bildung. Vielmehr benötige es einen Kultur- und Haltungswandel in der Profession. Rassismuskritik, so Prof. Fereidoonis Appell, „sollte eine Professionskompetenz in der politischen Bildung werden, da das ‚normale Wissen‘ rassismusrelevante Wissensbestände enthält.“ Rassismus sollte nicht als problemhaftes Wissen angesehen werden, das mit Bildung zu beseitigen sei. Wichtig sei es, die Funktionalität von Rassismus im eigenen Leben, in Institutionen, Organisationen und verbandlichen Strukturen zu thematisieren und Selbstreflexionsanlässe zu schaffen, um ein aktives Verlernen rassistischer Prägungen zu ermöglichen.

 

Diversität durch Kooperation? Politische Bildung in einer Gesellschaft der Vielen

 

Moderiert von Roland Wylezol, AdB-Vorstandsmitglied und Leiter der Alte Feuerwache e.V. – Jugendbildungsstätte Kaubstraße Berlin, diskutierten Susanna Steinbach (Bundesgeschäftsführerin Türkische Gemeinde in Deutschland), Iris Rajanayagam (Referentin für Diversität, Intersektionalität und Dekolonialität der Bundeszentrale für politische Bildung) und Enoka Ayemba (Bildungsteam Berlin-Brandenburg e. V.) mit dem Plenum. Thema waren strukturelle Schieflagen in der Förderstruktur der politischen Bildung sowie Chancen und Risiken von Kooperation weißer mit Rassismus-erfahrenen Organisationen.

 

Ein differenzierteres Bild auf die aktuelle Situation der politischen Bildung sei zentral, so Iris Rajanayagam, um strukturelle Problemlagen im Bereich der Förderung besser zu verstehen. Ein Kernproblem sei, ergänzte Steinbach, dass es infolge hoher regulativer Hürden derzeit nur drei migrantisch getragene anerkannte Träger der politischen Bildung in Deutschland gäbe. Deutlich formuliert wurde, dass die Förderkriterien der Strukturförderung nicht den Bedarfen der Organisationen entsprechen. Ayemba regte an, „die gesamtgesellschaftliche Wirkung zum Förderkriterium zu machen“.

 

Übergreifende Kooperationen könnten nur dann erfolgreich sein, wenn sie vom Mittelgeber so strukturiert seien, dass, so Steinbach, Rassismus-erfahrene Organisation „nicht nur am Tisch sitzen, sondern mitspielen oder gleich den eigenen Tisch bauen“. Kleinteilige und gemeinschaftliche Abstimmungen, so Ayemba, zementierten eine Schieflage in der Machtverteilung in Kooperationen. Abschließende Diskussionsbeiträge und Fragen aus dem Publikum thematisierten die Eigenverantwortung von Träger*innen der politischen Bildung in der Ansprache von Menschen mit und ohne Rassismuserfahrung und in der rassismuskritischen Entwicklung des AdB und seiner Mitgliedseinrichtungen. 

 

Rassismuskritisches Denken als Daueraufgabe

 

Wie eine rassismuskritische Bildungsarbeit in den Arbeitsprozessen von Bildungseinrichtungen nachhaltig Umsetzung finden kann und zu einer Daueraufgabe werden muss, war Schwerpunktthema des zweiten Tages. In vier Arbeitsgruppen wurden am Beispiel der Themen Öffentlichkeitsarbeit, Themenvielfalt und Methoden politischer Bildungsarbeit, der rassismuskritschen Entwicklung von Organisationsstrukturen und der übergeordneten Verbandsentwicklung erörtert, wie eine rassismuskritische Praxis im Feld der politischen Bildung entwickelt und mit nachhaltiger Verankerung etabliert werden kann.

 

Zum Ende der Jahrestagung resümierte Ina Bielenberg, Geschäftsführerin des AdB e. V.: „Politische Bildung ist ein Teil der Gesellschaft der Vielen. Wir stehen nicht außerhalb, sondern mittendrin. Dabei muss politische Bildung alle Menschen einbeziehen, ohne dass einzelne Träger*innen alle Zielgruppen in ihren Angeboten abdecken müssen“.

 

Dieser Anforderung stellt sich auch der AdB, der selbstreflektierend und mit Hilfe einer externen Organisationsberatung rassismuskritisch und diversitätssensibel auf die eigenen Strukturen blickt und Veränderungen in Satzung und Leitbild anstößt.